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7 Min. Lesezeit Persönliche Geschichten

Jasmin Kensington: virtuelle Safe Spaces schaffen

Safe Spaces für andere schaffen: Das ist eines der Ziele von Jasmin Kensington. Die 21-Jährige setzt sich für Aufklärung über die Unterdrückung der Tamilen und anderer Gruppen ein.

Jasmin Kensington: virtuelle Safe Spaces schaffen
Jasmin Kensington

Jasmin Kensington, 21 Jahre alt, kommt aus dem Süden von Deutschland (Baden-Württemberg). Sie studiert internationales Marketing und ist derzeit in ihrem Auslandsjahr in Slowenien.

Sie stammt nicht aus einem akademischen Umfeld, da ihre Eltern in jungen Jahren nach Deutschland geflüchtet sind, um hier ihr Leben aufzubauen. „Dadurch bin ich damit ausgewachsen, zu hören, wie ‚sicher und einfach‘ das Leben wäre, wenn man studiert, da meine Eltern für Leute gearbeitet haben, die diesen Lebenslauf vorweisen konnten. So stand für mich immer fest, ich möchte studieren, und da ich mit 18 mein Abitur absolviert hatte und direkt anfangen wollte, was ‚Sicheres‘ zu studieren, hat BWL mit dem Schwerpunkt auf internationales Marketing mein Interesse geweckt.“

Dieser Studiengang führte sie völlig aus ihrer Komfortzone, da ein einjähriger Auslandsaufenthalt verpflichtender Bestandteil ihres Studiums war. „Als ein Mädchen in einem relativ strengen Haushalt war es absolut nicht üblich, einfach so im Ausland zu leben, geschweige denn alleine Urlaub zu machen. Für meine Eltern geht aber nichts über Bildung, wodurch ich mein Studium direkt ohne Probleme anfangen konnte und jetzt schon fast fertig bin“, sagt sie. Das Engagement ihrer Eltern für Bildung hat ihr ermöglicht, ihr Studium reibungslos zu beginnen und erfolgreich voranzutreiben. Die Ruhe, Werte und tief verwurzelten Überzeugungen, die sie aus ihrer Religion schöpft, dienen als treibende Kraft in all ihren Unternehmungen. Diese spirituelle Basis verleiht nicht nur Stabilität, sondern beeinflusst auch maßgeblich ihre Entscheidungen und Handlungen.

Spirituelle Suche

In dieser Hinsicht hat sie stets kritisch hinterfragt, „warum mir bestimmte Handlungen untersagt wurden oder warum sie als nicht förderlich für unser Wohl betrachtet wurden“. Diese Neugierde hat sie dazu veranlasst, in vollem Maße nach den Gründen zu suchen und in tiefer Überzeugung danach zu leben. Es ist ihr wichtig zu betonen, dass ihre religiösen Überlegungen persönliche Entscheidungen sind. „Auch die Vergänglichkeit des Lebens treibt mich in positiver Weise an, da ich weiß, dass alles vergehen kann und ich mein Bestes geben sollte, um einen positiven Mehrwert für mich als Mensch und meine Mitmenschen zu liefern.“ Dieser Ausdruck zeigt eine bewusste Haltung, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen und nachhaltige Werte zu schaffen. „Wir leben alle in unserer eigenen Realität und nehmen alles unterschiedlich auf“, sagt sie.

Zwischen den Welten

„Die Kunst ist es, in meiner Welt zu leben, aber mich nie davor zu scheuen, in die eines anderen einzutauchen, um zu verstehen, warum andere so denken, warum sie etwas verletzt. Ich finde es unfassbar wichtig, verständnisvoll und offen für alles zu sein und finde, dass mich das auch wirklich antreibt als Mensch – ein Safe Space zu sein“, fügt sie hinzu. Im Laufe der Jahre hat sich die Beziehung zu ihren Eltern stark weiterentwickelt und diese verstehen nun ihre Persönlichkeit und ihre Ziele.„Früher kam es oft zu Konflikten, da sie neben ihren eigenen Herausforderungen ihre Kinder in einem fremden Land aufziehen mussten. Als Familie befanden wir uns zwischen zwei Kulturen, ja sogar Welten, und wussten oft nicht, wo wir wirklich hingehörten.“

„Heute stehen meine Eltern voll und ganz hinter mir, da sie meine Überzeugungen in Bezug auf Dinge wie Social Media und meinen Podcast verstehen. Trotzdem hegen sie – wie alle Eltern auf dieser Erde – den Wunsch nach einem sicheren Karriereweg für mich. Dieser Wunsch wird jedoch zunehmend komplexer, da meine politischen Interessen und mein Engagement für Themen wie den Genozid an Tamilen in Sri Lanka, Palästina, Rojava/Kurdistan, dem Kongo und dem Sudan immer präsenter werden. Die Herausforderung, in Deutschland zwischen einer konventionellen Karriere und dem Einsatz für Menschenrechte zu wählen, ist beunruhigend.“

Die beschriebene Entwicklung in den familiären Beziehungen spiegelt einen wichtigen Wandel wider, bei dem Verständnis und Unterstützung für individuelle Überzeugungen gewachsen sind. Die aufgeführten Konflikte zwischen dem Wunsch nach einer stabilen Karriere seitens der Eltern und dem persönlichen Engagement für Menschenrechte und politische Themen verdeutlichen eine Herausforderung, der viele junge Menschen gegenüberstehen.

Die tamilische Seite blieb zu Hause

In einem Dorf ist sie mit ihrer Familie aufgewachsen. Der Anteil der Migranten in diesem Dorf war gering, weshalb sie sich oft „in Kreisen ohne Migrationshintergrund“ befand. „Das führte zu Missverständnissen und Ignoranz, da meine Erfahrungen nicht nachvollzogen werden konnten oder es nicht gewollt wurde. Zum Glück hat sich die Situation im Laufe der Zeit verbessert“, sagt sie.

„In meiner Jugend habe ich mich oft dabei erwischt, wie ich nicht ich sein konnte und meine tamilische Seite zu Hause gelassen und nach draußen meine deutsche Seite getragen hatte, einfach aus dem Grund, weil meine tamilische Seite mit Unverständnis behandelt wurde. Nach außen hin war ich ein Vorzeigebild für Integration: gut in der Schule, konnte mich artikulieren – nach innen hin einsam, da ich meine Wurzeln und somit meine Identität versteckt habe und an manchen Stellen sogar verstecken musste, um ernst genommen zu werden.“

Mit den Jahren, als sie sich intensiver mit sich selbst, der Vergangenheit ihrer Eltern und ihren Werten auseinandersetze, und ihr soziales Umfeld sich zu Menschen veränderte, die ihr in Bezug auf die Erziehung ähnlich waren, fand sie schließlich sowohl beide Seiten in sich als auch ihre eigene Identität. „Irgendwo habe ich mir das Beste aus diesen beiden Welten genommen und mir meine eigene Welt, meine eigene Kultur irgendwo zusammengebaut.“

„Mein Vor- und Nachname werden als weiß wahrgenommen. Daher hatte ich nie Probleme, Bewerbungsgespräche und Wohnungsbesichtigungen zu bekommen. Allerdings musste ich lernen, dass dabei kein Bild von mir sein darf“, erklärt sie. „Es ist anstrengend, durchs Leben zu gehen und Menschen davon zu überzeugen, dass ihre Vorurteile über dich nicht stimmen“, sagt Jasmin und ergänzt:„auch dieser eine Satz meiner Eltern begleitete mich durch mein ganzes Leben: 'Du musst immer doppelt, wenn nicht sogar dreimal mehr machen als alle anderen um dich herum, damit du in diesem Land ansatzweise so ernst genommen wirst wie sie' – egal ob Schule, Uni oder Arbeit. Dieser Satz hat und wird mich (leider) immer begleiten.“

Die Stimme der Menschen stärken, die überhört werden

Alles, was Jasmin erleben musste, hat sie zu der Person gemacht, die sie heute ist. Deshalb möchte sie daran „nichts verändern“. Jasmin ist eine engagierte Person mit tiefer Verbindung zu politischen Themen, insbesondere zu Konflikten wie dem Genozid in Sri Lanka. Ihre Auseinandersetzung mit Flucht und Migration spiegelt die Erfahrungen ihrer Eltern wider, die Kriegsgeflüchtete sind. Diese Geschichte prägt sie zutiefst und treibt sie an, eine Stimme für diejenigen zu sein, deren Stimmen oft überhört werden.

Ihr Podcast „diaryofabrowngurl“ und ihre Texte dienen als Plattform für offene Diskussionen über Themen wie Schuldgefühle von Migrant*innenkindern, Erziehung und Beziehungen mit ausländischen Eltern. Jasmin schafft virtuelle „Safe Spaces“, um Themen anzusprechen, die oft im Mainstream vernachlässigt werden. Ihr Engagement für Sensibilisierung und Aufklärung zeigt sich auch in ihrem Wunsch nach mehr Anlaufstellen an Schulen und einer sensibleren Diskussion über Flucht und Migration. Ihre persönliche Reflexion über die vergessenen Träume ihrer Eltern und das Privileg, selbst Träume zu haben, verleiht ihrer Geschichte eine emotionale Tiefe. Jasmin trägt die Bürde der Vergangenheit ihrer Familie, während sie gleichzeitig den Raum nutzt, den ihre Eltern geschaffen haben, um ihre eigene Stimme zu erheben und für eine aufgeklärtere Gesellschaft einzutreten.

Es fehlt an Anlaufstellen

Ihre Perspektive betont die Notwendigkeit, Schüler*innen über Flucht und Migration aufzuklären und sensibilisieren. „In öffentlichen Diskussionen fehlen oft Anlaufstellen, um eine umfassende Verständigung zu ermöglichen“, so lautet ihre Meinung. „Ich bin Tamilin. Die Geschichte meiner Eltern, meiner Familie und meiner Vorfahren ist ein Teil von mir. Ihr Kampf und Wunsch nach Freiheit wurde mir vererbt. Das wird mich immer antreiben.“ betont Jasmin Kensington.

Die Last des Leides, die ihre Familie trägt, und ihre Verpflichtung, bereits seit ihrer Kindheit politisch über Sri Lanka, die Unterdrückung, die ethnische Auslöschung der Tamilen sowie den Krieg informiert zu sein, haben ihr die notwendige Sensibilität vermittelt, um Unterdrückung zu erkennen. Diese Erfahrungen haben sie dazu motiviert, sich nicht nur für die Anliegen der Tamilen einzusetzen, sondern auch für die Rechte von Kurdinnen und Palästinenserinnen.

„Ich versuche in dem Rahmen, der mir zur Verfügung steht, darüber aufzuklären und einen Safe Space für migrantisch gelesene Kinder zu erschaffen, die sich in meinen Texten und Worten wiederfinden können. Für mich sind Worte ein Safe Space, die ich nutze, um meine Gedanken zu verarbeiten.“

Entschluss für den politischen Einsatz

Ein Schlüsselmoment, der sie tief prägte und den sie immer wieder reflektiert, ereignete sich am 18. Mai 2009, als der Krieg in Sri Lanka sein Ende fand und die Tamil*innen einem Ausmaß der Vernichtung zum Opfer fielen, das schwer in Worte zu fassen ist. Die Nachricht über das Leiden und die Hoffnungslosigkeit verbreitete sich über alle News-Kanäle und sie erinnert sich daran, wie ihre Eltern, die bis zu diesem Zeitpunkt nie geweint hatten, Tränen in den Augen hatten. In diesem Moment, mit gerade einmal sieben Jahren, hatte sie sich zum Spielen mit ihrer Freundin verabredet, doch sie musste ihren Eltern versprechen, nie über ihre politische Meinung zu sprechen, aus Angst vor möglichen Konsequenzen. „An dem Tag wusste ich, dass ich mich an dieses Versprechen nicht halten kann.  Ich werde nie aufhören, dafür zu kämpfen, dass die Geschichte von Tamil*innen nicht verschwiegen wird.“

„Der Krieg, die Unterdrückung gingen ewig, und kaum jemand bekam etwas davon mit. Viele meiner Freunde waren geschockt, als ich von dem Genozid an den Tamil*innen erzählte, da sie bis dato nichts davon erfahren hatten.“ Sie hofft, dass sie bald mehr Wege findet, mehr Menschen findet, mit denen sie auf diese Themen aufmerksam machen kann, und daran arbeiten kann, dass diese Geschichten gehört werden. „Ich würde mich immer wieder für alle einsetzen, die nicht gehört werden, die im Keim erstickt werden und die für etwas Größeres kämpfen als sich selbst. Ich werde immer ein offenes Ohr für Menschen haben, die mit ihrer Identität strugglen, sich zwischen zwei Welten befinden und nicht wissen wohin, und ich werde mich immer politisch einsetzen. Ich hoffe, dass ich hier einen Weg finde, Politik und meine Karriere unter einen Hut zu bringen“, bemerkt sie.

Das Beste aus dem Leben machen

Diese Worte spiegeln ihre Entschlossenheit und ihre Werte wider, die sich um Empathie, soziale Gerechtigkeit und politisches Engagement drehen. Ihr Engagement für diejenigen, die keine Stimme haben, und ihre Bereitschaft, anderen zuzuhören, zeigt eine Verpflichtung gegenüber einer inklusiven und gerechten Gesellschaft. Ihr Glaube inspiriert sie, weiterzukämpfen und  Herausforderungen anzunehmen. „Mich motiviert der Gedanke, dass ich aus einem Grund in diesem Leben geboren wurde, mit Menschen, Problemen, aber auch Privilegien. Mein Leben ist ein Geschenk und ich hoffe, dass ich das Beste daraus machen kann, indem ich für mich ein guter Mensch bin, aber gleichzeitig einen Mehrwert für andere bieten kann, sei es mit Worten, Taten oder auch nur einem offenen Ohr und Herz.“

Brücken zwischen den Kulturen bauen

Ein bedeutender Ratschlag, den sie schätzt, stammt von einem Austauschstudenten aus Indonesien. „Er betonte, dass unsere kulturellen Hintergründe wie zwei Welten seien, die ohne eine Brücke zwischen ihnen existieren. Wir mit Migrationshintergrund sind diese Brücke, die entscheidet, wann sie zwischen den Welten vermittelt. Seine Worte, Ohne dich würde Eelam nie auf Deutschland treffen, zeigen, wie wir Einzigartigkeit und Verbindung zwischen verschiedenen Kulturen schaffen“, sagt Jasmin. „Das ist ein extrem schöner Gedanke, wir mit einem Migrationshintergrund bringen fremde Menschen zusammen, fremde Kulturen in uns zusammen, die nie zueinander gefunden hätten. Wir sind einzigartig“, sagt sie noch ergänzend.

Einen Ratschlag, den sie gerne weitergibt, lautet: „Jeder lebt in seiner eigenen Welt. Manchmal stelle ich mir das sogar bildlich vor, wie jeder in seiner eigenen Bubble lebt. Wir nehmen alle Dinge unterschiedlich wahr – selbst objektive Dinge erfassen wir alle auf unsere eigene Weise. Sogar Farben nehmen wir unterschiedlich intensiv wahr“, sagt Jasmin und stellt sich dann selbst die Frage: „Wer bin also ich, dass ich denke, dass das, was ich sehe, höre, denke und fühle, aus meiner Blase heraus richtig ist? Jeder wird von seiner Kindheit, Familie, eigenen Träumen, Umgebung und Glaubensrichtung geprägt. Jeder schmückt diese Blase nach seinen eigenen Vorstellungen aus. Ich bin dankbar, ein Teil der Blase anderer Menschen zu sein, sie zu besuchen und etwas davon in meine Blase zu integrieren. Ein offenes Herz und Verständnis für andere sind für mich das Wichtigste.“

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