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4 Min. Lesezeit Persönliche Geschichten

"Japaner essen nicht jeden Tag Sushi"

Kommunikation ist wichtig für das Verständnis zwischen Kulturen, findet Yuki – und beantwortet einige Fragen, die Deutsche oft über Japan stellen: zu Alltag, Religion und Essen.

"Japaner essen nicht jeden Tag Sushi"

Einige Menschen stellen mir viele Fragen, wenn ich sage, dass ich Japaner bin. Eine Frau in der U-Bahn hat mir von ihrem Urlaub in Japan erzählt. Sie wollte gern wissen, wie sie japanischen Tee machen kann, den sie als Souvenir in Japan gekauft hat. Mein Freund aus meiner Sprachschule, der aus der Türkei kommt, hat mich nach einem TikTok-Video aus Japan gefragt. Und einmal habe ich meiner Lehrerin empfohlen, welche Stadt sie während ihrer Reise durch Japan besuchen sollte. Solche lustigen Gespräche erinnern mich an eine Geografie-Stunde in meiner Schulzeit.

Gleichartige Gesellschaft in Japan

In Japan ist es sehr unwahrscheinlich, eine eingewanderte Person kennenzulernen: Fast jede*r versteht Japanisch und 98 % der Bevölkerung sind Japaner*innen. Es gibt zwar ein indisches Restaurant in meiner Heimatstadt, aber die Menschen aus Nepal und Indien, die dort arbeiten, sprechen nur auf Japanisch. Die Wörter auf Hindi, die du dort hörst, sind nur „Namaste“ und „Dhanyavad“. Die japanische Gesellschaft wird von ausländischen Arbeitnehmenden unterstützt, ähnlich wie in Deutschland. Sie arbeiten in einer Fabrik in der Vorstadt oder auf dem Feld, deshalb lernen die Japaner*innen sie nicht oft kennen.

Die Lage von Japan oder von ostasiatischen Ländern ist weltweit einzigartig. Während es viele Länder gibt, in denen man ethnische Vielfalt finden kann, sind die Gesellschaften in China, Südkorea und Japan sehr homogen.

„Warum gibt es viele Einwanderer aus Italien in Amerika?“

Das fragte ich einen Mitschüler in der Erdkundestunde. Er antwortete mir: „Weil Italien früher sehr arm war.“ Die Kürze seiner Antwort schockierte mich. Seine Worte waren wohl richtig – der Lehrer hatte genickt – aber für mich waren sie zu einfach. Und nicht respektvoll. Ich hätte mir gewünscht, dass er seine Meinung ausführlicher erklärt, denn natürlich ist es leichter, Dinge mit einer klaren Unterscheidung zu verstehen, aber unsere Welt besteht nicht nur aus schwarz und weiß.

„Italien war arm“. Die Antwort hatte mich verwirrt. Ich wurde auf die Kürze wütend, weil ich fand, dass seine Antwort die Existenz der Minderheiten vereinfachte und ignorierte. Das Gespräch blieb viele Jahre in meinem Kopf. Wissen ist erforderlich, um andere zu verstehen. Aber Worte, Lehrbücher, Religion und Philosophie sind nicht perfekt.

Eine Person, die mir gegenüber sitzt, kann sowohl aus Asien kommen, als auch aus Amerika oder Afrika. Meine Kenntnisse über diese Regionen und das Wissen, was ich in der Vergangenheit gelernt habe, können mir helfen, die andere Person zu verstehen. Wenn ich mich mit dieser Person aber tatsächlich unterhalte, werde ich wahrscheinlich schnell feststellen, dass nicht alles, was ich glaube zu wissen, auch stimmt. Die andere Person wird vielleicht Dinge erzählen, die meinem bisherigen Wissensstand widersprechen.

Manchmal gibt es zwei Wahrheiten an einem Ort. Das ist die Welt. Das ist das Leben. Bücher, Dokumentarfilme und soziale Netzwerke sind eine gute Strategie, um die Welt zu verstehen. Solche „großen“ Geschichten ignorieren manchmal andere verschiedene kleine Sichtweisen. Ich möchte beides verstehen.

Fragen, die ich häufig auf der Straße gefragt werde

In Deutschland werden mir jeden Tag Fragen über Japan gestellt: „Essen Japaner jeden Tag Sushi?“, „Ist deine Religion Shintō?“, „Ich habe gehört, dass das Leben in Japan stressig ist. Stimmt das?“

Einmal trug ich eine Fackel bei einem Fest des Tages der Deutschen Einheit. Eine Frau hat mich „Samurai“ genannt. Manchmal bin ich glücklich und überrascht, weil viele Leute etwas Positives über meine Heimat erzählen. Manche Leute wissen mehr über Japan als ich. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Menschen, die nur mit den Stereotypen zufrieden sein können und anderen, die noch mehr wissen wollen. Das ist für mich ein Zeichen von Aufrichtigkeit, Freundlichkeit und Menschlichkeit. Solche Haltung macht die Welt besser.

„So, essen Japaner jeden Tag Sushi?“

Neben Antworten, die sich Menschen aus Büchern, Filmen und den sozialen Medien holen können, möchte ich bei Fragen nach Japan gern meine eigenen Erfahrungen mitteilen. Meiner Meinung nach sind Kommunikation und Respekt der Schlüssel, die Welt mehr zu kennen. Sushi ist auch in Japan teuer, daher können reiche Leute jeden Tag Sushi essen. Meine Mutter und ich essen es nur ein- bis dreimal pro Jahr. Meine Familie hat regelmäßig am Abend des Neujahrstages zusammen Sushi gemacht und gegessen, als meine Großmutter gesund war. Diese Veranstaltung ist eine meiner besten Erinnerungen. Wenn ich nach Sushi oder Ramen gefragt werde, fühle ich mich gut. Das Unterhalten über Essen macht mir immer Spaß.

„Ist meine Religion Shintō?“

Einige Leute interessieren sich für japanische Religionen und Gedanken. Ich bin nicht sicher, ob ich es gut erklären kann. Es ist sehr schwer, auch für mich, Shintoismus und die geistliche Welt in Japan zu verstehen. Shintō ist eine ethnische Religion in Japan. Shintoismus und Buddhismus haben eine lange gemeinsame Geschichte, deshalb sind nicht immer leicht zu unterscheiden. Im Haus meiner Großmutter gibt es einen buddhistischen Hausaltar, wo sie regelmäßig betet. Neben dem buddhistischen Altar haben wir auch einen shintoistischen. Außerdem feiern wir Halloween, Weihnachten und Valentinstag.

Der Moralunterricht in Grundschulen basiert auf Shintoismus, Buddhismus und Konfuzianismus. In Japan überlebt ein Teil des religiösen Denkens durch den alltäglichen Brauch. Einerseits beschreibe ich mich in meinen Dating-App-Profilen als Atheist, andererseits lege ich meine Hände zusammen und sage „Itadakimasu“, bevor ich esse. Diese Gewohnheit stammt aus dem Buddhismus und bedeutet einen Ausdruck von Respekt und Dankbarkeit gegenüber dem Essen und den Personen, die es zubereitet haben. Japanische Kalender und saisonale Veranstaltungen basieren auf Shintō und Buddhismus und meine Familie feiert Neujahr in shintoistischer Tradition. „Ist meine Religion Shintō?“ Im Kurz ist meine Antwort zu meiner Religion immer „Jein“.

„Ist das Leben in Japan stressig?“

Auch dazu habe ich keine klare Antwort. Zwar fühle ich mich gestresst in Japan, aber die Antwort ist abhängig von jeder Situation und Meinung. Ein Friseur hat mich damals gefragt, warum ich nach Deutschland kam. Da habe ich geantwortet, dass das Leben in Japan stressig für mich war. Er war anderer Meinung. Er hat mit seinem Kollegen auf Arabisch gesprochen. Ja, es gibt viele Perspektiven, um zu messen, ob das Leben in Japan stressig ist.

Und genau so viele Perspektiven gibt es bei all den anderen Fragen, die Menschen aus einem anderen Herkunftsland in Deutschland ständig gefragt werden. Obwohl Kenntnisse und Stereotypen helfen, eine andere Kultur zu verstehen, sind Erfahrungen durch Kommunikation für das Verständnis anderer Menschen wichtiger. Ohne sensible Kommunikation kann man einander nicht verstehen.

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