„Es gehört zum demokratischen Grundverständnis Deutschlands, dass wir die Erinnerung wachhalten und das Wissen über die Verbrechen des Nationalsozialismus früh an die nächste Generation weitergeben – in den Schulen oder auch in der Ausbildung“, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) vor wenigen Tagen. Sie reagierte auf eine Studie der Jewish Claims Conference vom 23. Januar. In dieser wurde erforscht, wie gut junge Menschen (18 bis 28 Jahre) über den Holocaust informiert sind. 40 % der deutschen Befragten wussten nicht, dass etwa sechs Millionen Jüd*innen in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden, 15 % glaubten, es seien weniger als zwei Millionen gewesen. Rund jede*r Zehnte kannte den Begriff Holocaust nicht. Diese Ergebnisse sind erschreckend.
Die Studie wurde nur vier Tage vor dem 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz veröffentlicht. Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Soldaten das Konzentrations- und Vernichtungslager, in dem rund 1,1 bis 1,5 Menschen ermordet wurden. Der Tag gilt seit 1996 als Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus und wird seit 2006 auch international begangen.
Das Gedenken ist ein zentrales Element der deutschen Erinnerungskultur. Doch Erinnern heißt auch, gleiche Fehler nicht zu wiederholen. „Ich weiß genau, wie es damals angefangen hat. Ich bin entsetzt, dass ich das heute erleben muss“, sagt die KZ-Überlebende Margot Friedländer im Interview mit der VOGUE. Sie ist eine der letzten Zeitzeug*innen der Nazi-Verbrechen und spricht seit Jahrzehnten öffentlich über ihre Erlebnisse.
„Gerade jetzt, wo extremistische Parteien und islamistische Gruppierungen Zulauf bekommen, antisemitische Vorfälle und Straftaten zunehmen, muss daran erinnert werden, wohin eine Absage an Demokratie, Toleranz und Rechtsstaatlichkeit führen kann“, sagt Simone Oldenburg (Bildungsministerin in Mecklenburg-Vorpommern, Die Linke). Mit Blick auf die Bundestagswahl am 23. Februar, bei dem eine Partei mit rechtsextremen Positionen wahrscheinlich die zweitstärkste Partei wird, müssen auf das Erinnern an die grausamen Verbrechen auch Taten folgen.
Staatsbürgerschaften aberkennen und Listen mit den Namen psychisch kranker Menschen erstellen zu wollen, mahnt aber nicht vor den Verbrechen, sondern ähnelt dem Vorgehen während des Nationalsozialismus. Demokratische Parteien müssen sich durch ihre Worte und ihr Handeln von rassistischer und menschenfeindlicher Politik unterscheiden. Und es braucht klare Vorhaben für Inklusion und Toleranz verschiedener Lebensrealitäten in Deutschland.
Ich bin nicht der Meinung, dass Menschen in Deutschland noch immer Schuld an den Verbrechen im Nationalsozialismus haben. Doch es gibt erste Anzeichen, dass sich die Geschichte wiederholt – dieses Mal müssen wir uns mit vereinter Kraft widersetzen.