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Israel und Türkei ringen um Einfluss in Syrien

Israel bombardiert, die Türkei verhandelt – in Syrien formiert sich eine neue Machtordnung, die das Land weiter destabilisieren könnte.

Israel und Türkei ringen um Einfluss in Syrien

Oberflächlich betrachtet wirkt die syrische Landkarte wie ein zerrissenes Mosaik – doch unter der Oberfläche tobt ein geostrategisches Tauziehen, das längst über Syriens Grenzen hinausgeht. Israel bombardiert, die Türkei verhandelt, der Iran wartet – und die internationale Gemeinschaft schaut meist schweigend zu.

Seit Monaten häufen sich die israelischen Luftangriffe auf militärische Ziele in Syrien. Laut verschiedenen Quellen waren es über 740 Angriffe allein in den letzten vier Monaten. Kein einziger davon galt als Reaktion auf eine konkrete syrische Provokation, sondern scheint viel mehr ein Ausdruck eines strategischen Kalküls: Syrien soll keine militärische Struktur mehr aufbauen können, keine Einheit, keine Verteidigung. Denn ein zerschlagenes Syrien kann als Sicherheitsgarantie für Israel wirken.

Im Fokus der Angriffe stehen insbesondere die südlichen Provinzen Kuneitra, Daraa und as-Suwaida. Dort fordert Israel offen eine Entmilitarisierung, was als ein klares Signal an Damaskus und Ankara verstanden werden kann: Diese Region soll ein „sicherer Gürtel“ im Schatten der Golanhöhen bleiben. Und wer versucht, dieses Kräfteverhältnis zu verschieben, dem drohen direkte Angriffe.

Israel plant Einflusszonen, Türkei möchte Militärbasen

Die hebräische Zeitung Jedi’ot Acharonot bringt es auf den Punkt: Israel will Syrien in Einflusszonen aufteilen. Der Süden soll unter israelischer Kontrolle stehen, der Osten unter amerikanischer, der Norden unter türkischer und die Küste bleibt russisch. Der Rest? Eine Übergangsverwaltung, bis eine neue syrische Ordnung etabliert ist – möglichst schwach, fragmentiert und kalkulierbar.

Doch während Israel bombardiert, positioniert sich die Türkei diplomatisch. Nach dem Besuch von Ahmad Al Sharaa in Ankara und der Unterzeichnung eines Verteidigungsabkommens mit der neuen syrischen Führung bereitet sich die Türkei auf eine langfristige Präsenz vor, auf militärischer, politischer und wirtschaftlicher Ebene. Es geht nicht mehr nur um den Kampf gegen die PKK/YPG, sondern um Einfluss auf die neue syrische Armee, auf die Grenzregionen und auf das künftige Machtzentrum in Damaskus.

Berichten zufolge plant Ankara den Aufbau eigener Militärbasen in Syrien. Offiziell wird geschwiegen, inoffiziell aber ist für viele klar: Die Türkei will eine syrische Armee aufbauen, die mit türkischer Militärdoktrin und Infrastruktur ausgestattet ist. Eine sunnitische, loyale Struktur – als Gegengewicht zur iranischen Präsenz und als Teil eines größeren regionalen Plans.

Diese Entwicklungen bleiben in Tel Aviv nicht unbeobachtet. Israels Verteidigungsminister Yisrael Katz richtete eine offene Drohung an Damaskus: Sollte Syrien der Türkei den Zugang ermöglichen und damit Israels Sicherheitsinteressen gefährden, werde man „einen hohen Preis“ zahlen. Nur Stunden später folgten die Angriffe auf die Militärflughäfen in Homs, Hama und auf die T4-Basis.

Die Botschaft war klar: Israel wird keine türkischen Militärbasen dulden. Nicht in Hama, nicht in Homs, nicht im Süden. Was Ankara als Verteidigungsarchitektur bezeichnet, interpretiert Tel Aviv als direkte Bedrohung seiner strategischen Lufthoheit. Die Folge: Tote auf dem Flugfeld, Zerstörung ganzer Anlagen und wachsende Spannungen.

Zivilist*innen leiden

Die Eskalation erreicht nun auch die zivile Ebene. In der Provinz Daraa wurden durch israelische Angriffe neun Zivilist*innen getötet, 23 verletzt. Die Angriffe auf das westliche Umland, auf den Jarabiya-Damm, lösten in der lokalen Bevölkerung Proteste und Wut aus – ein Novum, denn erstmals stießen israelische Truppen so tief in diese Region vor. Gleichzeitig versucht Israel, jede Bewegung der Türkei in Syrien im Keim zu ersticken. Die Jerusalem Post zitierte einen hochrangigen israelischen Beamten mit den Worten: „Ein türkischer Flugplatz in Syrien ist eine strategische Bedrohung.“ Damit richtet sich Israel nicht mehr nur gegen syrische Militärpräsenz, sondern auch offen gegen die türkische.

Doch was treibt diese aggressive Haltung? Die Antwort liegt in der Angst vor einer sunnitisch-islamischen Achse, geführt von der Türkei – von Damaskus über Jordanien bis Gaza. Israel befürchtet ein neues Syrien, dessen Armee nicht mehr neutral, sondern Teil eines türkisch geprägten Machtblocks wäre — ähnlich wie Hamas im Süden und Hisbollah im Norden.

Die türkische Seite hält sich diplomatisch bedeckt. Außenminister Hakan Fidan betonte zuletzt, man strebe keine direkte Konfrontation mit Israel an. Doch er machte auch klar: Die Türkei wird gemeinsam mit der syrischen Übergangsregierung gegen IS-Reste und gegen die PKK vorgehen, notfalls auch militärisch. Israels Angriffe hingegen würden die Stabilität in Syrien untergraben und den Wiederaufbau gefährden.

Die USA beobachten das Ganze mit Sorge — und vielleicht auch mit Kalkül. Denn während Israel und die Türkei ihre Muskeln spielen lassen, könnten die USA als Vermittler auftreten. Laut Jedi’ot Acharonot ist sogar eine amerikanisch koordinierte Einflussaufteilung im Gespräch. Eine stille Neuordnung Syriens mit russischer Küste, türkischem Norden, israelischem Süden und amerikanischem Osten.

Doch was bedeutet das für Syrien selbst? Michael Horowitz, Analyst für die Nachrichtenseite majalla.com, sieht in dieser Entwicklung die Gefahr, dass Syrien erneut auseinander gerissen wird – nicht durch Bomben, sondern durch Pläne. Die neue syrische Führung sei gezwungen, sich auf externe Partner zu stützen, vor allem eben auf die Türkei. Was als „Partnerschaft“ beginnt, könnte sich bald zu einer strategischen Abhängigkeit enwickeln.

Syrien ist heute weniger ein souveräner Staat als Schauplatz multipler Interessen. Die Luftangriffe, die politischen Abkommen und die diplomatischen Drohungen zeigen, wie fragil die syrische Zukunft ist. In dieser Gemengelage droht die Region erneut in eine Spirale der Eskalation zu rutschen. Wie das ausgeht, ist noch ungewiss.

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