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Islamfeindlichkeit: Musliminnen berichten

Muslimisch gelesene Frauen erfahren in der Öffentlichkeit häufig verbale und physische Gewalt. Unsere Autorin Maiyra hat mit vier Muslimas über ihre Erfahrungen und Wünsche gesprochen.

Islamfeindlichkeit: Musliminnen berichten

Eine elfjährige Schülerin erzielt den ersten Platz bei einem Vorlesewettbewerb. Sie setzt sich gegen 21 andere Kinder mit ihrer persönlichen Leistung durch. Doch bei der Freude bleibt es nicht lang; die Hasskommentare im Netz überfluten sie. Der Grund für die Hetze ist das Kopftuch der Rheinländerin. Doch dies ist kein Einzelfall. Das Lagebild der Allianz gegen Muslim-und Islamfeindlichkeit Claim belegt, dass für das Jahr 2022 insgesamt 898 antimuslimische Vorfälle dokumentiert wurden. Im Schnitt sind das zwei antimuslimische Vorfälle pro Tag.

Claim ergänzt hierzu, dass die Dunkelziffer noch viel höher sei. Hinzu kommt, dass schonungsloser Vandalismus und Angriffe auf Moscheen in Deutschland keine Seltenheit mehr sind. Seien es die Schüsse auf einer Moschee in Halle oder die Brandstiftung an einer Chemnitzer Moschee. Eins haben sie gemeinsam: Über die Vorfälle auf die Safe-Places der etwa 5,6 Mio. Muslime in Deutschland wird überwiegend geschwiegen. Auch die täglichen rassistischen Übergriffe auf Muslime werden kleingeredet.

Meryem

Die 29-jährige Meryem (Name geändert) erzählt mir, dass sie ihr Kopftuch bereits seit der 5. Klasse trägt. Unzählige Rassismusvorfälle begleiten sie seither. Auch nach der Schulzeit sei kein Ende in Sicht gewesen. Bei ihrer Arbeit in der Apotheke werde Meryem schlichtweg von Kunden ignoriert – eine Frau mit Kopftuch scheint ihnen nicht kompetent genug zu sein. Wichtig sei den Kunden noch gewesen, zu erwähnen, dass sie ja nicht in der Türkei seien. Meryem ist kein Einzelfall.

Nele

Denn auch Nele (Name geändert) kämpft täglich mit rassistischen Kommentaren. Sie erzählt, dass eine ältere Dame sie vor kurzem anschrie: „Sie verdrecken unser Land mit ihren Kopftüchern! Gehen Sie wieder zurück in ihr Land!“, habe sie gerufen. Unerklärlich ist den jungen Frauen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, wie ein Stück Stoff so viel Hass erzeugen kann. Dabei sind es nicht nur die rassistischen Vorfälle, die belastend sind. Hinzu kommen die schweigenden Zuschauer, die sich bei derartigen Vorfällen nicht einschalten und wegschauen. Nele regt zudem an, sich bei rassistischen Angriffen aktiv nach Hilfe zu suchen. Seien es Hilfe suchende Blicke oder eine direkte Bemerkung wie „Helfen Sie mir bitte!“. Betroffene sollten in diesem Moment auf gar keinen Fall eine falsche Scheu zeigen.

Palina

Antimuslimischer Rassismus betrifft nicht nur Personen, die sich offensichtlich als Muslime zu erkennen geben, sei es zum Beispiel durch ein Kopftuch. Auch konvertierte Muslime, die nicht seit ihrer Geburt mit islamischen Werten aufgewachsen sind, stehen vor selbigen Herausforderungen. Kurz vor dem Wechsel ihrer Religion vom Christentum zum Islam kämpfte Palina als heranwachsende Frau mit bekannten Vorurteilen gegenüber ihrer neuen Religion. Wie sie bloß zu solch einer „radikalen Religion“ stoßen konnte, sei ihrer Bekanntschaft unerklärlich gewesen. Sie solle zudem auf sich Acht geben, denn mit einem muslimischen Mann an ihrer Seite dürfe sie sicherlich nicht mehr das Haus verlassen, müsse die Burka tragen und würde geschlagen werden.

Die 29-jährige Leipzigerin schüttelt auch heute noch den Kopf über die Bemerkungen, die sie damals ertragen musste. Die nahe Verwandtschaft enttäuschte sie am meisten mit der Aussage „Alle Frauen, die Kopftuch tragen, sind Terroristinnen und haben etwas mit dem 11. September zu tun.“ Schon damals verstand sie, dass das alles nicht mit dem Islam in Verbindung gebracht werden kann, denn sie hatte sich intensiv mit der Religion des Islams und dessen Lehren auseinandergesetzt.

Palina befand sich in einem Spannungsfeld zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. Sie habe sehr früh erkannt, dass die Erziehung, das eigene Umfeld und die Medien einen starken Einfluss darauf haben, wie der Islam und muslimische Menschen wahrgenommen werden.

Mila

Dass Muslime und ihre Religion, der Islam, seit geraumer Zeit als Bedrohung dargestellt und gesehen werden, ist allen Betroffenen bewusst. Denn ob die Religion des Islams und die Muslime zu Deutschland gehören oder nicht, wird nicht erst seit gestern ausdiskutiert. Muslime oder den Islam als „Problem“ zu deklarieren, verstärkt nur das Narrativ einer fremden Bedrohung im eigenen Land.

Die 26-jährige Mila (Name geändert) erinnert sich an die Aussage „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ des damaligen Bundesinnenministers Horst Seehofer zurück. Das Statement hat nicht nur für Spaltung in der Gesellschaft gesorgt, sondern sie selbst wurde dadurch von heute auf Morgen aufgrund ihrer Religion ausgeschlossen. Mila ergriff jedoch genau diese Anti-Islam-Aussage als Chance: Sie wollte ihre Stimme erheben und ihre Mitmenschen genau vom Gegenteil überzeugen. In ihrer Nachbarschaft folgten zahlreiche positive Gespräche. Ihr wurde bewusst, dass Menschen kaum oder wenig Kontakt zu Muslimen pflegen und daher das bereits vorhandene negative Medienbild aufgreifen und verinnerlichen.

Muslimische Frauen wehren sich gegen Stereotype

Die jungen deutschen Muslimas sind sich einig. Die deutsche Medienlandschaft trägt zu einem Großteil dazu bei, ein negatives Bild des Islams und dessen Werte zu verbreiten. Insbesondere die Rolle der Frau wird überwiegend als „unterdrückte“ und „ungebildete“ Frau präsentiert. Neles Statement ist klar: „Weder sind alle Muslime Terroristen, noch sind alle Frauen unterdrückt!“. Diese Stereotypen müssten in erster Linie beseitigt werden, um rassistisches Verhalten vorzubeugen.

Welches Ausmaß Rassismus annehmen kann, haben die Anschläge von München, Halle und Hanau deutlich aufgezeigt. Palina ist schockiert darüber, was Hass für dramatische Folgen haben kann. Sie stellt sich die Frage, welches Bedürfnis ein Mensch morgens haben muss, Personen, die einer anderen Religion angehören, zu verletzen oder gar töten zu wollen? Sie ist sich sicher, dass es ein schleichender Prozess ist, der bereits in der Kindheit beginnt und später ausreift. Der Gedanke, dass solch eine Tat jeden von uns treffen könnte, bereitet Palina und Mila sehr große Sorgen. Auch Meryem, die Mutter zweier Kinder ist, kann nicht mehr unbesorgt mit ihren Kindern auf die Straße gehen.

Vermehrter persönlicher Austausch und eine offene Kommunikation – das wünschen sich Nele, Meryem, Palina und Mila gemeinsam von Deutschland. „Imaginäre Mauern und Vorurteile müssen wir durchbrechen, um eine Annäherung zwischen den Einzelnen zu schaffen!“, fordert Palina. Die gebürtige Moldauerin setzt ein klares Statement, dass der Geburtsort einer Person niemals die Ursache für Hass, Diskriminierung und Unterdrückung sein darf. Nele appelliert, sich tiefgründig zu informieren und zu recherchieren. Sich für neue Dinge zu öffnen und Religionen zu akzeptieren, muss in erster Linie gelernt werden. Der gemeinsame Dialog kann der Schlüssel für ein harmonisches Miteinander werden.

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