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Immigration guilt - migrantische psyche

Im Newsletter „migrantische psyche“ schreibt Zara über Themen zu mentaler Gesundheit, die vor allem Menschen mit Migrationsbiographie betreffen. Diesmal geht es um den Begriff „Immigration guilt“: „Immigrationsschuldgefühl“.

Immigration guilt - migrantische psyche

Viele von uns kennen es sicherlich seit Jahren – oftmals ohne, dass wir dem einen Namen geben können. In Zeiten von omnipräsenten Kriegen, die unsere Heimatländer treffen, während wir aus der Diaspora gefühlt hilflos zusehen müssen, ist immigration guilt ein treuer Begleiter.

Unabhängig von der Herkunft, kommen viele Migrant*innen in ein anderes Land, um ihr Leben vollständig neu zu beginnen. Viele haben ihre persönlichen Hoffnungen und Träume von einem Leben, wie sie es kannten und häufig auch, wie sie es sich immer gewünscht haben, aufgeben müssen. Stattdessen konzentrieren sie sich darauf, das Beste für ihre Kinder zu erreichen und opfern ihre Vorstellungen, um denen ihrer Kinder Platz zu bieten.

Wie ich selbst auch, wachsen viele Kinder mit dem Bewusstsein auf, dass ihre Eltern enorme Opfer erbracht haben und wir verbringen nicht selten den Rest unseres Lebens damit, unseren Eltern zu beweisen, dass ihr Leiden nicht vergeblich war. Oftmals fühlen wir uns aufgrund dessen nicht wohl dabei, sie über unsere psychischen Probleme zu informieren. Wie könnten wir auch, wenn sie alles aufgegeben haben, damit wir es besser haben?

Immigration guilt umfasst ein in migrantischen Communities sehr weit verbreitetes Phänomen, bei dem es darum geht, dass wir meinen, Erwartungen nicht gerecht zu werden. Ebenso belastet uns das Zuteilwerden von Privilegien, da diese im Umkehrschluss die Benachteiligung anderer bedeuten und uns empfundene Verantwortung aufbürden.

Dabei fühlen wir auf verschiedenen Ebenen Schuld oder haben ein schlechtes Gewissen. Wir vermischen Verantwortungsbereiche, die sich auf die Dynamik miteinander und auch uns selbst gegenüber auswirken: Wir können durch das schlechte Gewissen, es besser zu haben und es ggf. aber nicht besser zu machen, Ausbremsung erleben. Das Gefühl, alles, was wir erreicht haben, sei nicht unser eigener Verdienst (Impostor-Syndrom) und Minderwertigkeitsgefühle, weil wir Privilegien genießen, die anderen, die gar nicht so anders sind als wir, sondern einfach nur woanders leben, nicht zuteilwerden. Auch können wir dazu neigen, es anderen immer recht machen zu wollen und unsere eigenen Bedürfnisse und Gefühle zu vernachlässigen (people pleasing).

Ein schlechtes Gewissen und Schuldgefühle sind so gut wie immer negativ konnotiert. Dabei haben diese eine Funktion und sind wichtig für uns als Menschen. Sie erinnern uns daran, dass wir einen moralischen Kompass und das Gefühl für ein Miteinander haben. Dass wir einen intrinsischen Drang dazu haben, aufeinander zu achten und einander nicht zu schaden. Gleichzeitig bedeutet das aber nicht, dass jede Ausprägung von Schuldgefühlen als positiv zu betrachten ist.

Ganz oft wird uns Verantwortung aufgebürdet, die wir nicht tragen sollten und vor allem: Die wir gar nicht tragen müssen, da wir für viele Umstände gar nichts können. Um auf eine möglichst reflektierte und gesunde Art damit umzugehen, können wir uns selbst fragen: Was sind meine eigenen Werte, welche habe ich übernommen, ohne wirklich hinter ihnen zu stehen? Was wurde ich gelehrt, was hinterfrage ich?

Genauso können wir Gefühle von Schuld dazu nutzen, aktiv zu werden. Viele Menschen transformieren ihre negativen Gefühle in Tätigkeiten und den Drang nach Veränderung um. Auch in Zeiten wie diesen ist es nützlich, sich daran zu erinnern, wieso uns unser Gewissen wirklich plagt. Wer wir sind, welche Macht wir in uns tragen und wie wir unsere Existenz ggf. noch gemeinschaftlicher gestalten können, da unsere Kämpfe trotz kultureller Unterschiede auch über Länder- und Kontinentgrenzen hinweg miteinander verbunden sind.

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