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Im Spotlight: YASEMIN ŞAMDERELI

Für seinen Newsletter „roots&reels“ hat Schayan mit der Filmemacherin Yasemin Şamdereli über ihren neuen Film „Samia“ gesprochen, der auf dem Leben der somalischen Leichtathletin Samia Yusuf Omar beruht.

Im Spotlight: YASEMIN ŞAMDERELI
Fotograf*in: Theresa Neumann

Yasemin Şamdereli kennt man von ihrer wahnsinnig erfolgreichen Komödie „Almanya - Willkommen in Deutschland“. Mit "Samia“ hat sie jetzt ein Biopic über die somalische Leichtathletin Samia Yusuf Omar gedreht, die 2008 an den Olympischen Spielen in Peking teilnahm und vier Jahre später im Mittelmeer ertrank. Ich habe mit Yasemin Şamdereli im Rahmen des Filmfests München über die Verfilmung dieser unfassbaren Geschichte gesprochen.

Yasemin, wann hast du zum ersten Mal von Samia und ihrer Lebensgeschichte erfahren?

Ich muss zugeben, dass ich nichts von Samia gewusst habe. Erst als ich von den italienischen Produzenten kontaktiert wurde, habe ich von ihrer Geschichte erfahren. Der Film ist ja eine internationale Co-Produktion zwischen Deutschland und Italien. Mir wurde der biografische Roman „Sag nicht, dass du Angst hast“ von Giuseppe Catozzella geschickt, den ich dann mit meiner Schwester Nesrin gelesen habe. Wir waren beide total ergriffen, weil es schockierend und unglaublich traurig ist, dass jemand mit 17 Jahren das schafft, was Samia geschafft hat, und dann vier Jahre später im Mittelmeer ertrinkt. Für uns war sofort klar, dass wir alles dafür tun müssen, um diesen Film zu machen.

Der Film ist in Zusammenarbeit mit der Filmemacherin Deka Mohamed Osman entstanden. Wie kann man sich das vorstellen?

Nesrin und ich sind keine Somalierinnen, aber für uns war von Anfang an klar, dass der Film auf somalisch und mit somalischen Darsteller*innen gedreht werden muss. Anders hätten wir das gar nicht machen können. Es brauchte aber eine Person an unserer Seite, die diese Welt verstanden hat. Wir hatten das große Glück, dass wir Deka und ihre Familie in der Vorbereitungsphase in Turin getroffen haben. Deka war gerade dabei, selbst Film zu studieren. Ich hatte mal wieder mehr Glück als Verstand, so eine tolle Partnerin gefunden zu haben. Dadurch wurde uns vieles in der Vorbereitung und auch beim Drehen ermöglicht.

Ich fand den Film sehr respektvoll im Umgang mit der somalischen Kultur und den Figuren, wo es in anderen deutschen Produktionen vielleicht mehr Vorurteile gegeben hätte. Wie seid ihr vorangegangen?

Es hat geholfen, dass ich einen muslimischen Hintergrund habe. Ich verstehe also vieles von der somalischen Kultur, auch wenn ich türkische Wurzeln habe. Kultur ist immer etwas Vielfältiges, Menschen sind so komplex und wundervoll und es war mir ein großes Anliegen, Samias Familie so darzustellen, wie Familien überall auf der Welt vorhanden sind. Es gibt sehr religiöse Menschen, es gibt weniger religiöse Menschen und wir wollten zeigen, dass Samias Familie zwar auch muslimisch ist, aber sie kein Problem damit hat, dass eine Tochter Läuferin ist oder ihre andere Tochter singt. Sie sehen keinen Konflikt darin mit der Auslegung ihrer Religion.

Und wir respektieren das aus dem Verständnis heraus, dass das eine ganz normale Familie ist, die genauso blöde Witze und Bemerkungen macht wie andere. Da wird rumgealbert, gestritten, gelacht und da wird auch sehr viel geliebt. Wir müssen unseren Blick und unser Herz öffnen, damit wir gar nicht erst auf die Idee kommen, dass es etwas gäbe, was uns alle voneinander unterscheidet.

Auch bei der Vaterfigur in „Samia“ ist es sehr auffällig, wie lieb und verständnisvoll sie dargestellt ist, was an sich ja normal sein sollte. Aber bei anderen Filmen über diese Region und diesen Kulturkreis sind wir herbe männliche Charakterisierungen gewohnt.

Absolut. Uns war ganz wichtig zu zeigen, dass man als Tochter einer muslimischen Familie Freiheiten bekommt. Das sind Freiheiten, die meine Familie mir gegeben hat. Wir wollten zeigen, dass viele muslimische Väter kein Problem damit haben, dass ihre Kinder ihren Weg gehen. Das heißt nicht, dass Eltern immer alles toll finden, was ihre Kinder machen. Es heißt einfach, dass Eltern auch diesen Schritt wagen. Unser Bruder war hier eine Referenz für uns. Das ist der liebste Mensch auf dem Planeten. Und dauernd müssen wir bei Filmen mit Bildern kämpfen, die ihn als muslimischen Mann besonders anpacken. Natürlich gibt es auch muslimische Männer, die nicht so sind wie Samias Vater, aber genauso gibt es ja auch den Deutschen, der durchdreht, weil seine Frau ihn verlassen hat. Sowas gibt es leider überall.

Hattet ihr Kontakt zur echten Familie von Samia?

Ich persönlich nicht, weil ich einfach nicht nach Somalia konnte, aber ja, wir haben Kontakt. Suad Osman, die Mutter von Deka und unserer Hauptdarstellerin Ilham, die war unglaublich wichtig für dieses Projekt. Samia hat zwar eine Schwester in Finnland, aber in Mogadischu war es gar nicht leicht herauszufinden, wo Samias Familie lebt. Also hat Suad für uns Leute gefragt und recherchiert. Nach einer wirklich langen Suche ist sie auf die Mutter und Samias Brüder gestoßen. Und hat denen von unserem Projekt erzählt, was wir machen wollen. Sie hat deren Segen für das Projekt eingeholt. Dadurch sind sie in das Projekt eingebunden, was uns natürlich wichtig war.

Die Flucht von Samia ist ein zentraler Bestandteil ihres Lebens und auch des Films. Wie habt ihr sichergestellt, dass die Menschen nicht traumatisiert werden?

Die Szenen auf dem Boot waren ganz hart für alle. Ganz viele Menschen, die als Statistinnen dabei waren, hatten ähnliches durchgemacht. Das hat natürlich viele getriggert. Wir hatten eine Psychologin am Set, weil bei vielen Darstellerinnen und Statist*innen sehr schreckliche Erinnerungen hochkamen. Diese Menschen haben wir natürlich rausgeholt und ihnen gesagt, dass sie nicht mitmachen müssen. Aber am nächsten Tag kamen viele wieder und sie hatten die Haltung, dass sie mitmachen möchten, weil andere Menschen den Film sehen und verstehen werden, was Flucht bedeutet – das hat sie motiviert. Sie haben es auch alle für Samia gemacht.

Der Film erscheint in einem politisch sehr aufgeladenen Klima. Verstehst du „Samia“ auch als Statement auf Politik und Medien?

Absolut. Es wird mit Zahlen und Statistiken so viel Angst gemacht. Dabei gibt es eigentlich nichts, was uns unterscheidet. Nur weil Menschen uns Angst machen, wir würden etwas verlieren, wenn Menschen hierher flüchten, dürfen wir uns nicht in die Irre führen lassen. Nur weil wir das Glück haben, irgendwo zu sein, wo vieles toll funktioniert, dürfen wir nicht unser Herz verschließen. Darum geht es im Film.

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