Die Arbeiten des Regisseurs, Kameramanns und Musikers Noaz Deshe wurden in Galerien in London und Berlin ausgestellt. Neben seiner künstlerischen Arbeit war Deshe auch als Freiwilliger bei Seenotrettungsmissionen und in Geflüchtetenlagern tätig. Basierend auf seinen Erfahrungen und Begegnungen mit Geflüchteten schrieb er gemeinsam mit Babak Jalali das Drehbuch zu seinem zweiten Spielfilm „Xoftex“, der in einem griechischen Lager für Geflüchtete spielt und von palästinensisch-syrischen Jugendlichen handelt, die auf die Entscheidung über ihren Asylantrag warten und die Zeit mit selbstgedrehten Sketch-Comedy-Filmen vertreiben. Ich habe mit Noaz Deshe u. a. über seine Arbeit und seinen Aktivismus gesprochen.
Lieber Noaz, du hast in „Xoftex“ mit echten Asylsuchenden gedreht, das Drama ist inspiriert von ihren Lebensgeschichten. Warum hast du keinen Dokumentarfilm daraus gemacht?
Es gibt sogar eine Doku. Und die wird hoffentlich im nächsten Jahr veröffentlicht. Die beiden Filme könnten dann im Dialog zueinander stehen, vor allem was das Thema „Realität“ angeht. Eine Art Pingpong, da sie sich sehr ähnlich sind und sich auch spiegeln. Aber der Grund, warum ich das nicht vermischen wollte, ist, weil ich meine Protagonisten aus der Doku nicht in eine Situation zwingen wollte, in der ich Fiktionen für sie erschaffe, die nicht vollständig aus ihrem eigenen Orbit stammen. Es gibt totale Freiheit im Dokumentarfilm, aber man kann keine Dinge für Protagonisten erfinden, die nicht von ihnen selbst kommen. Also habe ich „Xoftex“ als Spielfilm erzählt, weil ich einige Freiheiten brauchte, um Themen anzusprechen, die nicht organisch gewesen wären für die ursprüngliche dokumentarische Recherche. Zum Beispiel einige Charaktere, die ich getroffen habe, und die ich auf eine fiktive Reise mitnehmen wollte.
Wie führt man Regie bei einem Film, wo viele Schauspielenden zum ersten Mal vor der Kamera stehen? Kann man sich das so vorstellen wie beim Theater, mit vielen Proben?
Fast alles, was man im Film sieht, wurde im Vorhinein skizziert. Wir haben Storyboards angefertigt und eine kleine Graphic Novel produziert, die zeigt, wie der Film am Ende werden soll. Weil dieser Plan so fest in meinem Kopf verankert war, konnte ich einfach diese Bilder nutzen, um die Szenen so hinzubekommen, wie ich wollte. Und meine Schauspieler hatten dafür dann die komplette Freiheit. Ich habe ihnen vollkommen vertraut. Meine Verantwortung war es, am Set zu erscheinen, als hätte ich noch nichts gesehen oder geplant und dann nur zu reagieren, als würde ich etwas dokumentieren. Ich habe mich von der Energie der Darsteller leiten lassen. Und habe versucht alles einzufangen, vor allem ihre Energie, so als hätte es einen elastischen Band gegeben, wodurch sie mit mir verbunden waren und ich mit der Spannung des Bandes spielen konnte. So habe ich mich dann mit den Darstellern mitreißen lassen.
Neben deiner Regiearbeit bist du auch als Aktivist tätig. Wie steht dein Aktivismus im Zusammenhang mit deiner künstlerischen Arbeit?
Man ist nicht Aktivist, damit man irgendwann einen Film machen kann, sondern man engagiert sich einfach, um sich zu engagieren. Aber man denkt natürlich darüber nach, wie dieses Engagement nutzbar sein kann, wie man mit seinen Fähigkeiten etwas schaffen kann, worüber dann diskutiert wird. Wie man Aufmerksamkeit schafft. Wenn ich in einem Lager für Geflüchtete bin und ein unglaublich kreatives Gespräch führe, dann wünsche ich, dass jeder diesen Moment erleben und Menschen in dieser Situation auf eine völlig andere Weise schätzen kann, als sie es von den sozialen Medien oder ihren Algorithmen kennen.
Wie wichtig ist Humor für dich? Ich frage nur, weil „Xoftex“ trotz der düsteren Momente und Schicksale der Protagonisten auch viele witzige Momente hat.
Wie kann man überleben, ohne ständig über sein Leben zu scherzen? Man bewältigt Tragödie eben durch Comedy. Man lacht ständig über schreckliche Dinge. Meine syrischen Mitarbeiter und Freunde lachen natürlich, wenn sie den Film sehen. Denn das ist ihre natürliche Reaktion darauf. So soll es auch sein. Man soll gleichzeitig lachen und weinen, und wütend sein. Man soll nicht nur eine Emotion haben. Wir sind an einen Punkt gekommen, an dem Emotionen jetzt in einzelne Teile aufgespalten werden. Aber es gibt nicht nur die „eine“ Emotion.
Du hast Algorithmen angesprochen und wie diese Geflüchtete anders darstellen als sie sind. Doch für viele Menschen ist das Internet lebenswichtig, wie wir zum Beispiel in Gaza sehen können. Da ist es doch wichtig, dass wir diese Bilder sehen, dass unser Algorithmus eben auch diese Seite des Internets aufzeigt.
Absolut. Es ist eine Lebensader, wenn Menschen auf der Flucht sind oder migrieren. Aber ich spreche nicht von Menschen in existenziellen Krisen, wie etwa in Palästina. Sie müssen gehört werden, klar. Ich spreche von Menschen, die es sich zu Hause bequem gemacht haben und entschieden haben, dass es nur eine Version der Realität gibt. Weil sie mit der einzigen Version der Realität, die sie sehen, einverstanden sind. Und darin steckenbleiben. Das ist eine gefährliche Form des Konsums. Denn du wirst nur weiterhin das konsumieren, was du weiterhin konsumierst. Und dein Algorithmus weiß, was du konsumierst, also wird dir einfach mehr davon geben. Und entschieden, was gut für dich ist. Was deine Aufmerksamkeitsspanne ist. Das macht dich zu einem Roboter. Du bist ein Produkt. Und du solltest dir bewusst sein, wie schädlich das ist.
Aber das ist doch der Punkt. Wenn wir nicht vor Ort sind und Menschen auf der Flucht oder Bilder aus Gaza sehen, dann ist das wichtig, weil sowas eigentlich unterdrückt wird vom Algorithmus.
Ich denke, Lösungen anzubieten und auf eine Zukunft zu schauen, insbesondere bei einem Konflikt, der so entzündlich ist, und sich im Allgemeinen auf Lösungen zu konzentrieren, das ist nicht weniger wichtig, als die Wahrheit über die schrecklichen Massaker und Gräueltaten zu erzählen. Es gibt zum Beispiel Gruppen von Palästinensern und Israelis, die die einzige Hoffnung sind, diesen Konflikt zu stoppen, das ist eine unglaubliche Bewegung, die sich gegen die israelische Regierung stellt. Aber das wird nicht berichtet, weil es nicht Teil deines Algorithmus ist. Und das ist eine sehr wichtige Sache. Man muss die vernünftigen Stimmen verstärken, selbst wenn sie nicht in die Agenda passen. Das gilt für die Ukraine, das gilt für den Sudan, für den Kongo, das gilt für jede Bewegung, die sich um Menschen kümmert. Denn wenn wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln wollen, müssen wir uns um alle Menschen kümmern.