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Im Spotlight: LEIS BAGDACH

Für seinen Newsletter "roots&reels" hat Schayan mit Regisseur Leis Bagdach gesprochen: Es geht um seinen neuen Film und darüber, was Heimat eigentlich bedeutet.

Im Spotlight: LEIS BAGDACH
Fotograf*in: cottonbro studio auf pexels

Letzte Woche fand das Filmfest München statt, wo IM ROSENGARTEN Weltpremiere feierte. Der Film handelt von einem deutsch-syrischen Geschwisterpaar auf einem Roadtrip quer durch Deutschland. Der Rapper “Yak” (Kostja Ullmann) muss sich plötzlich um seine Halbschwester Latifa (Safinaz Sattar) kümmern, nachdem ihr Vater im Koma liegt. Ich habe den Regisseur Leis Bagdach getroffen, um mit ihm über sein Regiedebüt und vieles mehr zu sprechen.

Hallo Leis, du hast für andere Filmemachende Drehbücher geschrieben und auch ihre Filme produziert. Warum wolltest du ausgerechnet bei dieser Geschichte zum ersten Mal selbst hinter der Kamera stehen?

Mein Vater ist Syrer und meine Mutter ist Deutsche. In meiner Kindheit sind wir in den Ferien immer nach Syrien gefahren. Die Kulturen haben sich in meinem Gefühl sehr stark voneinander unterschieden, ich konnte sie nie zusammenbringen und war lange Zeit hin- und hergerissen. Wir wissen, wie toxisch es sein kann, wenn man in Deutschland die ganze Zeit gefragt wird, von wo man eigentlich herkommt. Ich finde das nicht schlimm, aber das prägt einen. In Syrien wurde ich das nicht gefragt, die Syrer haben immer gesagt, dass ich Syrer sei. Die Deutschen haben auch gesagt, dass ich Syrer bin.

Ich fand es immer sehr lustig, dass ich in Deutschland geboren bin und hier als Ausländer gesehen werde, die Syrer mich wiederum vereinnahmt haben. Sowas wollte ich erzählen, weil diese unterschiedlichen Kulturen stark in meinem Herzen, meinem Gehirn verankert waren oder sind. Und beim Entwickeln der Geschichte habe ich dann gedacht, verdammt, ich muss den Film selber machen. Das kann niemand so erzählen wie ich.

Der Film beginnt mit einer arabischen Erzählerstimme, was für einen deutschen Film sehr untypisch ist. War das eine bewusste Entscheidung?

Als Erstes muss man „deutschen Film“ definieren. Ist damit die Summe der vielen deutschen Filme gemeint, die man gesehen hat und davon eine Schublade im Kopf hat. Oder ist ein deutscher Film einfach ein Film, der in Deutschland finanziert wurde? Beide Sprachen sind wichtig, aber für mich ist das ganz normal.

Ich habe mir gar keine Gedanken gemacht, wie das ankommt. Der Witz dabei ist ja, dass am Anfang von einem deutschen Volkslied auf Arabisch erzählt wird. Das war der größte Spaß für mich, die zwei Sprachen so zusammenzubringen. Ich wurde von einem Schauspieler auch gefragt, warum denn kein schönes arabisches Lied zu hören ist, aber das ist ja gerade der Witz. Ein Araber mit Akzent singt ein deutsches Volkslied.

Ich fand das Casting der Hauptrolle sehr spannend. Kostja Ullmann hat bekanntlich keinen arabischen Background. Warum ausgerechnet er?

Ich wollte für die Hauptrolle eine Person mit arabischem beziehungsweise islamischem Hintergrund. Ich habe viel gesucht und habe dann den Film „3 Türken und ein Baby“ geguckt, weil der Rapper Eko Fresh da mitspielt. Und dann war plötzlich Kostja Ullmann einer der drei Türken. Ich dachte mir, warum zur Hölle spielt er einen Türken, das ist doch eine Kartoffel? Dann habe ich gecheckt, dass er wie ich asiatische und deutsche Wurzeln hat. Seine Mutter kommt aus Sri Lanka und aus Indien und der Vater aus Deutschland. Ich habe ihm das Buch geschickt und er wollte es unbedingt machen. Das war für mich auch wichtig, dass er irgendwie andocken konnte.

Der Passing-Aspekt in diesem Film ist interessant. Kostja Ullmann spielt zwar einen deutsch-syrischen Rapper, will aber als Deutscher wahrgenommen werden. Mit seiner arabisch-sprechenden Halbschwester hat er Probleme mit der Verständigung. Wie wirst du eigentlich in der Filmindustrie von Kolleginnen und Kollegen wahrgenommen?

Im professionellen Filmbereich gibt es natürlich immer die Frage, woher der Name „Leis“ kommt. Und ich kann total verstehen, wenn sowas einen triggert, aber das stört mich gar nicht. Erstens, weil ich ein Mann bin und zweitens, weil ich hell bin. Ich könnte auch als Spanier oder Italiener durchgehen. Aber wegen meiner vielfachen Erfahrungen habe ich das Gefühl, dass ich nicht richtig dazugehöre.

Ich denke immer, ich müsste mir einen Platz erkämpfen. Weil ich nicht aus einer weißen Bürgerschicht komme. Im Filmbereich hast du oft Leute, die aus einem reichen Elternhaus kommen. Kunst und Kultur zu machen, musst du dir leisten, das konnte ich nicht. Für mich hat das Ganze also eher einen Aspekt der Klasse.

Im Film gibt es auch eine Szene zum aufgeladenen Begriff „Heimat“ und was dieser für wen bedeutet. Wie stehst du zu diesem Begriff?

Den Begriff Heimat finde ich sehr schwierig, weil er tatsächlich ausschließt. Wir können uns auf den Kopf stellen, aber wenn wir sagen, meine Heimat ist der Bayerische Wald, dann wird es immer Leute geben, die antworten, dass das nicht sein kann, weil guck dich doch mal an. Du kommst doch ganz woanders her. Und da bist du gleich bei dieser Blut-und-Boden-Ideologie. Also ich finde den Begriff Heimat scheiße, weil es ein politischer Kampfbegriff ist. Woraus der Begriff Heimat besteht, vielleicht die Liebe zu einer bestimmten Natur, in der man groß geworden ist, oder die Musik, die Sprache, das feiere ich natürlich total. Das ist mir wahnsinnig wichtig.

Aber es gab mal in Deutschland einen sehr schönen, sehr gesunden Antinationalismus. Bei Fußballspielen mit Franz Beckenbauer, das kann man sich bei YouTube angucken, da hat keine Sau die Nationalhymne mitgesungen. Die andere Mannschaft schon. Es ist total schön zu sehen, wie sie da alle stehen, Beckenbauer, Hrubesch und niemand bewegt auch nur seine Lippen. Ich fand das immer ganz gut, dass Deutschland einen gebrochenen Bezug zur Heimat hat, aufgrund der Geschichte, weil man tatsächlich sieht, wohin Nationalismus hinführt. Nach der WM 2006 wurde gesagt, endlich gibt es wieder gesunden Nationalismus. Und ich sage, das gibt es nicht. Es gibt nur einen gesunden Antinationalismus. Den wir leider verloren haben.

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