Sylt, Mannheim, Europawahlen und das damit einhergehende Feindbild sogenannter Migrant*innen stehen aktuell wieder besonders, als wäre es jemals anders gewesen, im Fokus. Während in ganz Deutschland verteilt unter anderem auf Partys „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ gegrölt wird, blicken wir sowohl hoffnungsvoll als auch hoffnungslos auf die Europawahlen. Inmitten von Repression von Palästina-Solidarität, Islamhass und sonstiger Polarisierung, die den stetigen Ruck immer weiter nach rechts verstärken, fragen wir uns, wohin die Reise gehen soll.
Vor einem Monat habe ich dich und meine ganze Online-Community gefragt, wohin ihr migrieren würdet, oder was zumindest als Ziel in Betracht käme. Die Ergebnisse überraschten mich teilweise, da unzählige Orte auf dieser Welt von schädlichen Strukturen geprägt sind und selbst Unterdrückung fördern.
Lass uns gemeinsam die Antworten reflektieren. Als Ziel Nummer eins wurde Kanada genannt. Interessant, wenn wir dessen Kolonialgeschichte berücksichtigen, die bis heute – selbstverständlich – nicht nur nicht aufgearbeitet, sondern teilweise auch nicht ganz aufgedeckt wurde. Auch Katar, Dubai, Malaysia schneiden bei der Umfrage gut ab, was mich sehr wundert, da wir den Kapitalismus somit bloß in einer anderen Farbe streichen. Ausbeutung von Arbeitskräften, Verfrachtung unserer Leute in kleinste Mehrbettzimmer, Luxus auf dem Rücken derjenigen, die wir nicht sehen und nicht sehen sollen. Doch auch innerhalb Europas scheint es attraktive Ziele zu geben, Skandinavien wirkte beliebt und auch das sonnige Spanien wurde nicht selten genannt.
Mir ist auch und besonders aufgefallen, dass viele ihre Heimatländer nannten und in diese entweder zurückmöchten, oder sogar nie dort gelebt haben und trotzdem für ein Leben dort bereit wären, was sicherlich so einiges an Identitätskonflikten mit sich bringen würde. Nicht, dass es uns an diesen mangeln würde. Selbst ich überlege, perspektivisch in Afghanistan zu leben, wohl wissend, dass es Gefahr für mich und vor allem umso mehr für viele andere bedeutet, die nicht die Privilegien genießen, die mir zuteilwerden.
Was macht das eigentlich mit uns? Wir wissen mittlerweile, wie stark sich Rassismus auf unsere Psyche, unsere Entwicklung und das gesamte Sein auswirkt. Doch was passiert, wenn Deutsche sich vermeintlich solidarisch zeigen, indem sie aus allen Wolken fallen, weil sie das Video von Sylt sehen? Viele von uns waren überhaupt nicht überrascht, doch verletzt über die Reaktionen, die uns zeigen, wie blind Deutschland immer noch auf dem rechten Auge ist.
Nun stehen kommenden Sonntag die Europawahlen an, die uns etwas Handlungsspielraum bieten und trotzdem, oder sogar deswegen, verspüren wir Unruhe, weil wir nicht wissen, welche Ergebnisse und auch Konsequenzen uns erwarten. Was bleibt, ist die Hoffnung. Der Tatendrang, der uns miteinander verbindet, und das kollektive Gedächtnis, das kollektive Denken, das uns zueinander führen sollte. Sogar wenn es heißt, dass wir eventuell auswandern.
Es mag pessimistisch klingen, doch kann und soll Lichtblicke aufzeigen. Wir sollten all unsere Optionen kennen. Länder, aus denen wir und/oder unsere Eltern einst geflohen sind, um in Europa höhere Lebensqualität zu erfahren, sollen uns trotz eventueller Unsicherheit, Armut und Einschränkungen das bieten, was uns Deutschland genommen und wohl nie gegeben hat.
Hast du über einen Wohnsitzwechsel nachgedacht? Und wenn ja, was kommt für dich infrage? Falls nein, woraus schöpfst du Kraft und was gibt dir Hoffnung?