Doch es gibt es einen Wandel in der Arbeitskultur. Die jungen Generationen Y und Z wollen Flexibilität statt Sicherheit, Freiheit statt Wohlstand. Zu ihren Prioritäten gehören Freund*innen, Familie, soziale Gerechtigkeit, Toleranz, Diversität und Umweltbewusstsein. Junge Leute wollen sich nicht in kapitalistische Hierarchien zwängen lassen.
Unsere Arbeitskultur muss sich anpassen an die Wünsche und Forderungen der Arbeitnehmenden, Diversität mit Offenheit begegnen und Kreativität einladen.
Ich frage mich: Welche Erfahrungen sammeln Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt? Unterscheiden sich diese Erfahrungen von den Erfahrungen aus ihrer Heimat/ anderen Ländern? Und welche Wünsche und Anregungen haben sie für eine moderne, vielfältige (oder offene?) Arbeitskultur?
Im ersten Artikel zu der neuen Kolumne „Kultur der Arbeit“ erzähle ich über meine Arbeitserfahrungen und Beobachtungen in einem deutschen Staatsbetrieb und den Kontrast zu meinen Erfahrungen in Dänemark und Schweden. Besondere Probleme bereiten mir intransparente und irreführende Kommunikation, vertikale Hierarchien mit gläsernen Decken und mangelnde Solidarität.
Persönlicher Hintergrund
Vor 35 Jahren bin ich in Dänemark geboren, nah der Grenze zu Deutschland. Viele sind zweisprachig und pendeln oft von einem Land zum anderen, um die Vorzüge und Möglichkeiten des Nachbarlandes zu nutzen.
In Malmö an der schwedischen Grenze zu Dänemark war es nicht anders. Das sehr urbane Grenzgebiet ist ein Ort der internationalen Migration, der Sprachen, der Mobilität und des Austauschs.
Als demografisch junge Stadt hat sich Malmö in ihre neue Rolle eingefügt: von der verlassenen Industriestadt zu einer lebendigen, wirtschaftlich und kulturell starken und vielfältigen Metropole. Jeder dritte Bewohnerin ist im Ausland geboren. Gleichberechtigung, Antidiskriminierung, Minderheitenrechte und öffentliche Teilhabe für alle sind Grundwerte der Stadtgemeinschaft.
Vor knapp drei Jahren bin ich aus Malmö nach Hamburg gekommen. Erst durch meine Arbeit hier, in einem staatlichen Betrieb in mit ca. 600 Mitarbeiterinnen, habe ich erlebt, wie schwierig und zermürbend es sich anfühlt, wenn wohlwollende Offenheit als Voraussetzung keine Gegebenheit mehr ist. Wenn Kolleginnen und Leitung Kompetenzen mit Misstrauen begegnen und Menschen für ihre Andersheit ausgrenzen, einfach weil sie es nicht beachten.
Die Hierarchie
Der erste Schock war der Ton unter den Kolleg*innen. Sogar in den Abteilungen gibt es strenge Hierarchien und ich merkte, dass mein Platz ganz unten ist. Wir Assistent*innen wurden für das Mitdenken gerügt. Uns wurden Informationen vorenthalten, um uns unwissend und abhängig dastehen zu lassen, wir mussten jeden Handgriff der Gesell*innen genau kopieren, um es richtigzumachen und sollten keinen Raum einnehmen. Wir sollten schweigen, wenn sie sprachen, sitzen, wenn sie es uns erlaubten. Nur wenn man ihnen Fragen zu sich selbst und ihrer Arbeit stellte, erzählten sie gerne von ihrer Erfahrung. Es wurden aber keine Gegenfragen gestellt.
Es kommt vor, dass man zum Arbeiten geschickt wird, während die Kolleginnen Sekt trinken. Auf die Bitte, von einer Abteilung befreit zu werden, sagte man mir, dass ich keinen Einfluss hätte, das stünde so in meinem Vertrag. Seither sind jedoch Kolleginnen mit deutschem Gesellenbrief sehr wohl auf ihr Begehren von der Arbeit in der Abteilung befreit worden.
Der Gesellenbrief
Die zweite Enttäuschung war wohl, dass mein Gesellenbrief aus Dänemark vom Staatsbetrieb nicht anerkannt wurde. Ich hatte mit einer Stelle als Aushilfe angefangen und man hatte mich bei der Anstellung gefragt, ob ich denn auch als Fachkraft arbeiten wollen würde, wenn eine Stelle frei würde. Ich ging also nicht davon aus, dass es hier ein Problem geben würde. Als dann mein Vertrag auslief und ich mich für die freie Stelle als Facharbeiterin beworben habe, wurde mir gesagt, ich hätte ja leider keinen Gesellenbrief. Damals war es eine ziemliche Enttäuschung und Ungerechtigkeit. Ich empfand es, als würden sie mir meine Kompetenzen abschreiben.
Um mich wieder bewerben zu können, habe ich also die Anerkennung von der Handwerkskammer beantragt und nach 6 Monaten auch bekommen. Heute weiß ich, dass man in Deutschland einen bestimmten Werdegang sehen möchte: Ausbildung, Gesellenjahre, Meister. Mein eher bunter Werdegang würde in einem Staatsbetrieb nicht ernst genommen werden.
Transparenz
In meiner Zeit in jenem Betrieb habe ich es immer wieder erlebt, dass ich und andere migrantische Kolleg*innen nicht ordentlich informiert wurden, z. B. dass bestimmte Tätigkeiten über einen längeren Zeitraum zusätzlich vergütet werden, dass man sich immer wieder auf freie Stellen neu bewerben muss. Aber diese Regeln sind nicht gleich für alle. Um mich herum werden Kolleg*innen mit weniger Berufserfahrung, ohne Gesellenjahre, mit deutschem Gesellenbrief der Reihe nach angestellt. Männliche Kollegen werden bevorzugt. Als ich meiner Enttäuschung bei der Teamleiterin Luft mache, rutscht ihr heraus: Du hast halt keinen deutschen Gesellenbrief.
Die Sprache
Ich erlebe, dass die deutschen Kolleg*innen sich leichter in diesem Konstrukt bewegen. Sie wissen, wie man sich im richtigen Maß durchsetzt, sie beherrschen die formale Schriftsprache und müssen ihre Kompetenzen nicht extra beweisen. Eine Vorgesetzte sagte mir, der Grund für meine ‘Missverständnisse’ mit der Chefin sei die „Sprachbarriere“.
„Sprachen und Sprachakzente [können] als Symbole von Zusammengehörigkeit oder auch Fremdheit wirken und zu Abgrenzungen oder Diskriminierungen führen“, schreibt die Arbeitsstelle interkulturelle Konflikte und gesellschaftliche Integration (AKI) in ihrer Forschungsbilanz. Ich denke, es sind diese Sprachakzente, die in dieser sehr geschlossenen, homogenen Gruppe zu Irritationen führen.
In einem anderen Kontext sagte eine Kollegin zu mir, es sei meine freundliche, dänische Art, weswegen man mich nicht ernst nimmt. Ich solle bestimmter auftreten. Leider gelingt es mir nicht, den richtigen Ton zu finden. Bitte ich um ein Mitarbeitergespräch, lässt man mich Monate warten, um mich dann einen Kopf kleiner zu sägen. Setze ich einmal meine Grenzen, heißt es, ich hätte mich im Ton vergriffen. Übersehe ich eine wichtige, bürokratische Deadline, sagen sie, dass man ‘davon ausgeht, dass man das halt weiß’.
Ich bin verwirrt: Zum einen bin ich so fremd, dass ich aufgrund sprachlicher Akzente Missverständnisse mit der Chefin habe. Zum anderen sollte ich eigentlich alles wissen.
Generell kann man sagen, dass es in diesem Betrieb keine gute Feedbackkultur gibt, keine Fehlerkultur, keine transparente und klare Kommunikation. Die Mitarbeiterinnen werden einer undankbaren Arbeitskultur ausgeliefert. Der Druck wird von oben nach unten getreten. Am Umgangston und Krankenstand unter den Kolleginnen sehe ich, wie toxisch dies für viele ist. Jede*r kämpft nur noch für sich selbst.
Erst nach vielen Monaten wird mir klar, dass ich mich nicht einbringen soll. Ich soll meinen Platz kennen und dort bleiben. Ich soll mich nicht entwickeln, nichts beisteuern und einfach nur die Arbeit ausführen, so wie Kolleg*innen es seit Jahrzehnten schon getan haben. Dies unterscheidet sich sehr von meiner Ausbildung in Dänemark und Schweden.
Dort lernen wir, wie man lernt. Wir lernen, selber zu denken und zu gestalten. Es gibt eine ausgeprägte Feedbackkultur und auch Chefinnen können durchaus meine Kritik anhören, ohne sich zu rechtfertigen oder alles als meinen Fehler oder mangelnde Kompetenz darzustellen. Der Staatsbetrieb hat mit seinen guten Verträgen sehr viel Potenzial für Arbeitnehmende. Ich hoffe, dass das Arbeitsumfeld mit einem kommenden Generationswechsel für die Kolleginnen bald besser wird.