„Und da habe ich das erste Mal darüber nachgedacht, was für Räume ich hatte, mit welchen Räumen ich aufgewachsen bin, und da ist mir das erste Mal aufgefallen, dass ich ganz anders aufgewachsen bin als Leute, die Deutsch sind.“ Hatice Açıkgöz ist 30 Jahre alt, in Deutschland aufgewachsen, hat türkische Wurzeln und erzählt in ihrem Buch „fancy immigrantin“ von ihren Erfahrungen – auch mit Räumen in Deutschland – in denen sie sich aufgehalten hat.
Aufgefallen ist ihr, dass etwas anders ist, als sie sich für eine Ausschreibung des Literaturmagazins Schnipsel beworben hat. Die Ausschreibung war für sie ein Startschuss, Gedichte zu schreiben und zu sehen, dass alle diese Texte etwas gemeinsam haben: ihre Erfahrungen in Deutschland und dass sie diese ernst nehmen möchte.
"Schreiben war irgendwie die einzige Konstante"
Nach der Schule begann Hatice in Gießen Literaturwissenschaften zu studieren. Danach war für sie klar, dass sie auf jeden Fall weiter mit Büchern arbeiten möchte, und so hat sie in Hamburg angefangen, in einer Buchhandlung zu arbeiten. Schon als Kind, hat sie „so typisch, viel gelesen und man liest mehr als andere Kinder und schreibt auch schon mit 12 Jahren irgendwelche komischen Fantasygeschichten, wo die Tiere sprechen können.“ Das Schreiben war also schon immer Teil ihres Lebens, „irgendwie die einzige Konstante“.
Was sie aber immer am meisten interessiert hat, sind „die Geschichten von Menschen, also die realen Geschichten“, erklärt sie. „Das hier (fancy immigrantin) und auch der oktopus waren eher eine bewusste Entscheidung, um danach wieder davon wegzugehen. Das war so ein bisschen wie eine Therapie für mich, das aufzuschreiben und zu verarbeiten, damit ich weiterziehen kann.“ „ein oktopus hat drei herzen“ ist eine Kurzgeschichte, die im Januar 2022 im Sukultur Verlag erschienen ist.
Neben ihren eigenen Geschichten sind in „fancy immigrantin“ außerdem Bilder und Illustrationen von Irem Kurt zu sehen. Hatice erzählt, dass es sehr schön war, mit jemandem wie Irem zusammenzuarbeiten, die einen ähnlichen Background hat wie sie selbst. „Natürlich gibt es in den Verlagen Menschen, die vielleicht queer sind oder irgendwie anders marginalisiert, aber meistens nicht sichtbar und dann hab ich immer Angst, dass sie nicht richtig verstehen, was ich da schreibe.“
bewusst kleingeschrieben
Nun ist sie an dem Punkt des „Weiterziehens“ angekommen und hat mit ein paar Freundinnen einen Podcast gegründet, von dem am 1. November 2023 die erste Folge erschienen ist. Thema des Podcasts ist, wie im Literaturbetrieb solidarischer miteinander umgegangen werden kann.
Auf diese „Strenge im Literaturbetrieb“ nimmt sie zum Beispiel Einfluss, indem sie „ein oktopus hat drei Herzen“ und auch „fancy immigrantin“ komplett kleingeschrieben hat. Es war eine bewusste Entscheidung, auf die sie unter anderem durch YouTube-Kommentare gekommen ist. „Wenn man da durchscrollt und eine Person einen Rechtschreibfehler macht, heißt es immer direkt: Oh mein Gott, die kann gar kein Deutsch und das nervt mich total. Es gibt Menschen, die haben eine Rechtschreibschwäche und Menschen, die können eben nicht perfekt Deutsch. Wo ist das Problem?“ Eigentlich, erklärt sie, ist es gar nicht unüblich, dass Lyriker*innen alles kleinschreiben. Aber es scheint trotzdem ein Thema zu sein.
"Jeden Tag habe ich eine neue Strategie"
Derzeit schreibt sie an einem Roman und muss noch herausfinden, wie das für sie am besten funktioniert. „Wenn ich morgens meinen Kaffee getrunken hab, dann kann ich arbeiten, aber jeden Tag habe ich eine neue Strategie.“ Ein richtiges Lebensmotto hat Hatice nicht immer, aber im Moment hilft es ihr, zu sich selbst zu sprechen: „Ich bin eine Autorin, die einen Roman schreibt, damit ich weiß, ich muss einen Roman schreiben.“
Dass sie in den letzten Monaten nach der Veröffentlichung von „fancy immigrantin“ viel gelernt hat, darauf ist sie stolz. Sie erzählt von verschiedenen Mantras, die sie an ihren Computer geklebt hat. Dinge wie „Ich lasse mich nicht von anderen Menschen stressen“ oder „Ich kann Interviews geben“.
Heute kann sie sagen, dass sie diese Dinge geschafft hat. Jetzt ist der Roman, neben den anderen Projekten, die Herausforderung, der sie sich stellen möchte. Angefangen hat sie damit unter anderem, weil Agenturen auf sie zugekommen sind. Vor allem aber, weil sie wissen möchte, wie es ist, eine lange Geschichte zu erzählen.
Hatice möchte mit ihren Geschichten und ihrer Arbeit nicht die Position einer Aufklärerin einnehmen, da es sich um ihre eigenen Erfahrungen handelt. Trotzdem ist ihr natürlich durch die vielen positiven und bewegenden Rückmeldungen klar, dass es Menschen etwas gebracht hat, ihre Texte zu lesen. Wofür sie sich immer einsetzen möchte? „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll!“ Jegliche Arten von -ismen, vor allem Feminismus, Rassismus und Sexismus. Feminismus, sagt sie, „ist dabei eine Sache, die ich, glaube ich, immer ansprechen werde, in jedem Buch, egal was ich schreibe.“
Hatices Buch "fancy immigrantin" gibt es auch im Online-Shop von kohero zu kaufen. Und mehr zum Thema Räume kannst du in unserer Printausgabe #10 „Habe ich Platz?“ lesen.