In der Mitte der Pandemie beginnt Grasa Guevara damit, Drag zu machen. Im Drag findet sie Inspiration. Hier kann sie einen Teil von sich zeigen, der sonst hinter einer Maske bleibt. Dass sie in Deutschland wieder auf der Bühne steht, trägt auch dazu bei, dass sie sich hier irgendwie angekommener fühlt. Drei lange Jahre konnte sie nicht auftreten, weil sie kein perfektes Deutsch konnte. Inzwischen tritt Grasa Guevara auf Spanisch auf. Das macht sie nicht nur, weil es ihre Muttersprache ist, sondern ganz bewusst, weil ihre Zielgruppe die lateinamerikanische Community ist. Vor allem Personen, die noch nicht politisiert sind, will sie damit erreichen.
Auf die Frage, wieso Grasa Guevara sich für Drag als Kunstform entschieden hat, antwortet sie: „Diese Kunstform hat sich für mich entschieden.“ Um der alltäglichen Homophobie zu entfliehen, der sie begegnet, probiert sie das erste Mal Drag aus. Sie spürt sofort, dass sie ein mächtiges Werkzeug entdeckt hat. Denn es geht ihr nicht nur um die Kunst, sondern Drag war für sie schon immer auch politisch.
Ihre 60-minütige Comedy-Solo-Show „La Razón de mi Drag“ basiert auf dem Leben von Evita Perón. Die Ehefrau des argentinischen Präsidenten Juan Perón war eine wichtige Figur der politischen Szene des Landes in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Bis zu ihrem Tod mit nur 33 Jahren kämpfte sie für das Frauenwahlrecht. Erfolgreich. In westlichen Ländern wurde sie durch den Spielfilm „EVITA“ mit Madonna in der Hauptrolle und Madonnas Hit „Don’t Cry for me Argentina“ aus dem Film bekannt. Wenn westliche Drag Queens Evita Perón spielen, findet Grasa Guevara das meistens cringe. Sie selbst will es besser machen.
„Was wollen wir weniger als eine linke, migrantische, kommunistische Drag Queen?“
Doch nicht nur mit ihrer Drag-Show ist Grasa Guevara politisch aktiv. Zusammen mit Drag-Schwester La Taura lädt sie auf YouTube als „Midragntas“ politisches Bildungsmaterial für andere Migrant*innen hoch. 2021 folgt der Instagram-Kanal und später die zweiwöchentlich erscheinende Podcast-Reihe „Grasa Saturada“. Besonders den Podcast hören auch viele Menschen in Lateinamerika. Grasa Guevara fühlt eine gewisse Verantwortung gegenüber den Menschen aus ihrer Heimat, auf Zustände aufmerksam zu machen und politische Bildungsarbeit zu leisten. Auch weil vor Ort vielen Menschen aktuell die Ressourcen fehlen, um politische Arbeit leisten zu können: Seit Dezember 2023 ist in Argentinien der rechte Präsident Javier Milei an der Macht.
Auf Deutsch bedeutet Grasa „Fett“. Und Fett, das will die Gesellschaft gerne ausstoßen, so Grasa Guevaras Erfahrung. In Argentinien ist „grasa“ etwas, das billig ist, von schlechtem Geschmack. Durch die Wiederaneignung zeigt sie damit Schönheitsidealen den Mittelfinger. Sie weiß, dass sie unbequem ist: „Was wollen wir weniger als eine linke, migrantische, kommunistische Drag Queen?“ Die Anlehnung an Che Guevara entstammt ihren Teenagerzeiten. Noch in Buenos Aires ist sie in einer politischen Jugendorganisation aktiv. Ihr Ziel damals ist es, die queere und die linke Perspektive zusammenzubringen. Dafür kämpft sie auch noch heute.
„Die Gewalt erleben wir als queere Menschen zuerst“
„Für mich bedeutet Freiheit nicht nur, dass ich mit meinem Körper machen kann, was ich will.“ Genauso wichtig ist Grasa Guevara der Zugang zu Bildung, Arbeit, Wohnraum und Krankenversicherung. Die Gleichstellung mit anderen Menschen aus der Gesellschaft. Wenn diese Gleichstellung nicht vorhanden ist, gibt es für queere Menschen keine Perspektive, denn: „Die Gewalt erleben wir als queere Menschen zuerst.“ Es gehe darum, die Perspektive vom Individuum auf das Kollektiv zu lenken. Gegen aktuelle rechte Strömungen lasse sich nur ankämpfen, wenn Gesellschaft neu gedacht wird. “Viele Menschen unterstützen die rechten Bewegungen, weil sie denken, dass sie eine Antwort haben auf die Krisen, in denen wir heutzutage leben”, mutmaßt Grasa Guevara.
“Was die rechten Bewegungen sehr gut gemacht haben, ist, ein Narrativ zu entwickeln, in dem sie uns für die gesamten Probleme, die wir heutzutage haben, verantwortlich machen.” Das Problem der heutigen Krisen sieht Grasa Guevara vor allem im Kapitalismus. Queere Personen, migrantische Personen und Frauen* werden dabei, so Grasa Guevara, oft zu einem “inneren Feind” gemacht. Ein gefährliches Narrativ. Inflation und Kriege würden als Werkzeuge gegen marginalisierte Gruppen genutzt. “Um gegen dieses Narrativ zu kämpfen, sollten wir unser eigenes Narrativ entwickeln", schlägt Grasa Guevara vor. “Ich glaube, es gibt viele nicht-politisierte Menschen, die in Deutschland leben”, sagt sie. Mit denen möchte Grasa Guevara als erstes reden.
„Weltweit ist das argentinische Gesetz zur Geschlechtsidentität das beste“
Lohnarbeiten geht Grasa Guevara im Bildungszentrum Lohana Berkins in Berlin. Die 2016 verstorbene Lohana Berkins war eine der Leitfiguren der queeren Bewegung in Argentinien und ist Grasa Guevaras großes Vorbild. Sie kämpfte gegen patriarchale Strukturen und setzte sich selbst als Betroffene vor allem für die Rechte von trans* Personen ein. 2012 verabschiedete Argentinien als erstes Land weltweit das Selbstbestimmungsgesetz für trans* und nicht-binäre Personen. In Deutschland gibt es erst seit April 2024 ein Gesetz zur geschlechtlichen Selbstbestimmung, das aber noch nicht annähernd so fortschrittlich wie das in Argentinien ist. “Weltweit ist es das beste Gesetz zur Geschlechtsidentität”, findet Grasa Guevara, sichtlich stolz, dass gerade ihr Land einmal die Vorreiterrolle eingenommen hat.
Am 1., 2. und 3. November kann man Grasa Guevara als Evita Perón im Theater X in Berlin sehen. Vielleicht kommt sie mit ihrem Programm auch mal nach Hamburg. Fehlt nur noch die passende Bühne.