Nach dem 8. Dezember, als Assad gestürzt wurde, wird Syrien oft mit anderen Ländern verglichen, insbesondere in Bezug auf den Wiederaufbau des Staates.
In der Region bietet der Irak ein gutes Vergleichsbeispiel, vor allem nach dem US-Angriff, der zum Sturz Saddam Husseins führte. Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen dem Irak und Syrien: Sowohl Assad als auch Hussein nutzten die Baath-Partei, um ihre Familienherrschaft in einem diktatorischen System zu festigen. Beide errichteten ein Regime, das auf der Unterdrückung der Mehrheit durch eine Minderheit basierte und stark von Geheimdiensten gestützt wurde.
Dennoch gibt es auch große Unterschiede: Die irakische Gesellschaft ist stärker durch familiäre Strukturen und Stammesbindungen geprägt, während in Syrien die Städte und das städtische Bürgertum eine größere Rolle spielen. Zudem ist die syrische Gesellschaft in Bezug auf ethnische Gruppen vielfältiger als die irakische.
Der wichtigste Unterschied liegt jedoch in der Art und Weise des Regimewechsels.
In Syrien wurde Assad mit gewisser Unterstützung aus dem Ausland zu Fall gebracht, während der Irak durch eine direkte US-Intervention ins Chaos gestürzt wurde. In vielen wissenschaftlichen Analysen wurde untersucht, wie die USA statt „State-Building“ zu betreiben, aus der „Green Zone“ heraus ein „Nation-Building“ versuchten. Einer der größten Fehler war die Auflösung der Baath-Partei und der irakischen Armee, wodurch ein Machtvakuum entstand. Dieses Vakuum wurde dann vom Iran und anderen islamistischen Milizen gefüllt, während ehemalige irakische Soldaten sich gegen die US-Armee und die neue irakische Armee stellten.
Meine Frage ist nun: Warum ist ein solches Machtvakuum in Syrien bisher nicht entstanden? Auch dort wurde die Baath-Partei aufgelöst und viele Soldaten der syrischen Armee kehrten nach Hause zurück. Ich glaube, die Antwort liegt in der Verwaltung. Im Irak wurden viele Staatsbedienstete entlassen, während in Syrien viele von ihnen weiterhin im Dienst blieben – wenn auch nicht alle. Einige erhielten zunächst drei Monate bezahlten Urlaub, doch es herrscht große Unsicherheit über mögliche Entlassungen.
Die HTS argumentiert, dass der syrische Staatsapparat zu viele Beschäftigte habe und eine liberale Marktwirtschaft eingeführt werden müsse, in der der Markt selbst entscheidet. Der Staat solle sich auf die Gesetzgebung und Aufsicht beschränken.
Syrien stellt in gewisser Weise ein einzigartiges Beispiel dar. Ob dieser Weg erfolgreich sein wird, kann nur die Zeit zeigen, aber bisher bewegt sich das Land in eine teilweise positive Richtung.
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Eine kurze Zusammenfassung der Lage:
Gewalt und Sicherheitslage:
Am Eingang der südlichen Stadt Manbij explodierte ein mit Sprengstoff bestücktes Fahrzeug, sieben Frauen wurden getötet und 14 weitere verletzt. In verschiedenen Regionen, etwa in Arza (Hama) und entlang der Strecke zwischen Damaskus und As‑Suwayda, kam es zu bewaffneten Angriffen, die zu zivilen Opfern führten. Zudem berichteten Quellen von Schusswechseln und Auseinandersetzungen an Grenzgebieten, während israelische Truppen in einigen Regionen agieren oder sich zurückziehen.
Politische und administrative Reformen:
Die syrische Übergangsregierung treibt umfassende Strukturreformen voran. So soll im Landwirtschaftsministerium ein Personalabbau von 30 bis 40 % erfolgen, da dort 70.000 Mitarbeiter*innen bei sehr niedrigen Gehältern beschäftigt sind. Weitere administrative Herausforderungen betreffen die hohe Zahl von Scheinstellen, die während der Herrschaft des gestürzten Regimes entstanden sind.
Diplomatie und internationale Verhandlungen:
Mehrere interregionale Gespräche finden statt: Die Türkei, Syrien, Irak und Jordanien führen erste Gespräche im Kampf gegen den „Islamischen Staat“, wobei die Rolle der kurdischen Kräfte (SDF) kritisch diskutiert wird. Auch der Dialog mit Israel wird als notwendig erachtet, um zu verhindern, dass Aufhebung von Sanktionen und ein möglicher US-Truppenabzug den Weg zu einer Alleinherrschaft ebnen. Gleichzeitig äußern internationale Akteur*innen – etwa EU-Vertretende – Interesse an einem inklusiven Übergangsprozess, und es sind Konferenzen (z. B. in Brüssel) zur Bündelung von Wiederaufbauhilfen geplant.
Internationale Hilfe und Wirtschaft:
Saudi-Arabien leistet neue medizinische Unterstützung, indem es 61 spezialisierte Ärzt*innen nach Damaskus entsendet und Hilfsflugzeuge mit Ausrüstung einsetzt. Gleichzeitig warnen die Vereinten Nationen vor einem umfassenden wirtschaftlichen Zusammenbruch, wenn dringend erforderliche Reformen und internationale Hilfen nicht erfolgen. Ein UN-Antrag sieht Hilfen in Höhe von 1,2 Milliarden Dollar vor, um Nahrungsmittel, Gesundheitsversorgung sowie Wasser- und Sanitärversorgung für Millionen Bedürftige bereitzustellen.
Humanitäre und justizielle Entwicklungen:
Die humanitäre Lage im Al‑Hol-Lager hat sich verschlechtert, da von US-Seite Hilfsprogramme für 90 Tage ausgesetzt wurden. Parallel dazu werden in Homs Untersuchungen zu Todesfällen in Haftzentren geführt, nachdem es bei der Übergabe eines Inhaftierten zu Überschreitungen durch Sicherheitskräfte gekommen war. Außerdem laufen Bestrebungen, ehemalige Regimeverbrechen – unter anderem in Zusammenhang mit Massengräbern und Korruption – juristisch aufzuarbeiten.
Weitere internationale Aspekte:
Strategische Analysen heben hervor, dass Syrien für Russland von großer Bedeutung ist – eine Tatsache, die Präsident Ahmad al‑Shar‘a als Druckmittel gegenüber dem Westen nutzen könne. Gleichzeitig zeigen sich unterschiedliche Perspektiven hinsichtlich des US-Engagements: Trump betonte, dass die USA nicht aktiv in Syrien engagiert seien, während gleichzeitig Berichte über einen möglichen Abzug von US-Truppen diskutiert werden.
„SANA“ berichtet über Präsident Ahmad al-Shar'a in seiner Ansprache an das syrische Volk:
"An die Söhne des tapferen syrischen Volkes! Ich stehe heute vor euch mit einem Herzen, das von Hoffnung und Entschlossenheit erfüllt ist, und richte meine Worte an alle Syrer und Syrerinnen – an diejenigen, die in Umsiedlungslagern leben, an die Vertriebenen und Geflüchteten, an die Verletzten und Verwundeten, an die Familien der Märtyrer und Vermissten, und an die revolutionären Aktivisten, die ihr Leben dem Kampf für ein freies Syrien gewidmet haben.
Ich stehe heute vor euch, nach vierundfünfzig Tagen, in denen wir gemeinsam befreit wurden – Syrien wurde von den Fesseln eines kriminellen Regimes befreit, das uns über Jahrzehnte niederdrückte. Vierundfünfzig Tage sind vergangen seit dem Ende von vierundfünfzig Jahren der düstersten Formen autoritärer Herrschaft in der Geschichte Syriens und der ganzen Welt.
Syrien wurde erstens durch Gottes Gnade befreit und dann durch jeden Menschen, der im In- und Ausland kämpfte – jeden, der sein Leben, sein Blut, sein Zuhause, sein Vermögen, seine Sicherheit und seinen Schutz opferte.
Syrien wurde durch die Märtyrer, die Inhaftierten (Männer und Frauen), die Gequälten (Männer und Frauen), die Vermissten (Männer und Frauen) und all ihre trauernden Mütter sowie ihre leidenden Angehörigen befreit. Wegen ihrer und eurer Opfer stehe ich heute hier, um gemeinsam ein neues Kapitel in der Geschichte unseres geliebten Landes aufzuschlagen.
Dieser Sieg erhob sich aus den Kehlen der Demonstranten und den Rufen der Protestierenden auf den Plätzen und in den Versammlungen. Er entsprang den Fingern von Hamza al-Khatib und den Gesängen der Demonstrationen, den Seufzern der Inhaftierten und Gequälten in den Kellern von Tadmor, Saydnaya und dem palästinensischen Zweig – und er setzte sich fort durch die Opferbereitschaft der Revolutionäre, die das Land Syrien befreiten, trotz jahrelanger Qualen durch Raketen, Fassbomben und chemische Waffen. Sie wurden nicht gebrochen, sie gaben nicht auf.
Brüder und Schwestern, ich habe gestern die Verantwortung für unser Land übernommen – nach intensiven Beratungen mit juristischen Experten, um den politischen Prozess im Rahmen der geltenden Rechtsnormen fortzuführen und ihm die nötige Legitimität zu verleihen.
Ab heute wende ich mich in meiner Eigenschaft als Präsident Syriens in dieser entscheidenden Phase an euch und bitte Gott, uns alle zu befähigen, unser Land voranzubringen und die Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, zu überwinden. Dies wird nur gelingen, wenn das Volk und die Führung geschlossen zusammenarbeiten.
Ich spreche heute nicht zu euch als Herrscher, sondern als Diener unseres verwundeten Vaterlandes – mit aller Kraft und Entschlossenheit, die Einheit Syriens und seinen Aufschwung zu verwirklichen. Dabei ist uns bewusst, dass dies eine Übergangsphase ist, ein Teil eines politischen Prozesses, der die echte Beteiligung aller Syrer und Syrerinnen – im In- und Ausland – verlangt, um ihre Zukunft in Freiheit und Würde aufzubauen, ohne Ausgrenzung oder Marginalisierung.
Wir werden eine umfassende Übergangsregierung bilden, die die Vielfalt Syriens in Bezug auf Männer, Frauen und Jugendliche widerspiegelt, und die sich der Aufgabe widmet, die Institutionen des neuen Syriens aufzubauen, bis wir zu freien und fairen Wahlen gelangen.
Basierend auf meiner derzeitigen Aufgabenübertragung und dem Beschluss zur Auflösung des Volksrates werde ich ein Vorbereitungskomitee zur Auswahl eines kleinen Gesetzgebungsorgans einberufen, das diese Lücke in der Übergangsphase füllen wird.
In den kommenden Tagen werden wir das Vorbereitungskomitee für den Nationalen Dialogkongress bekanntgeben – eine direkte Plattform für Diskussionen, Beratungen und das Anhören der verschiedenen Standpunkte zu unserem kommenden politischen Programm.
Nachdem diese Schritte abgeschlossen sind, werden wir die konstitutionelle Erklärung verkünden, die als rechtliche Grundlage für die Übergangsphase dienen wird.
In der nächsten Zeit werden wir uns darauf konzentrieren, folgende Prioritäten festzulegen:
Herstellung des inneren Friedens: Wir werden die Kriminellen verfolgen, die syrisches Blut vergossen und an uns Massaker und Verbrechen begangen haben – egal, ob sie sich im Land versteckt oder ins Ausland geflohen sind – und das im Rahmen einer echten Übergangsjustiz.
Wiederherstellung der Einheit des syrischen Territoriums: Ganz Syrien soll unter einer einzigen Autorität und auf einem einzigen Staatsgebiet souverän sein.
Aufbau starker staatlicher Institutionen: Diese sollen auf Kompetenz und Gerechtigkeit beruhen – ohne Korruption, Vetternwirtschaft oder Bestechung.
Etablierung einer starken Wirtschaft: Eine Wirtschaft, die Syrien seine regionale und internationale Stellung zurückgibt und echte, würdige Arbeitsplätze schafft, um die Lebensbedingungen zu verbessern und die verlorenen grundlegenden Dienstleistungen wiederherzustellen.
O Söhne des freien Syriens – der Wiederaufbau unseres Vaterlandes ist unsere gemeinsame Verantwortung. Dies ist ein Aufruf an alle Syrer, sich am Aufbau eines neuen Vaterlandes zu beteiligen, in dem Gerechtigkeit und Mitbestimmung herrschen.
Gemeinsam werden wir das Syrien der Zukunft gestalten – ein Syrien, das ein Leuchtturm des Wissens und des Fortschritts ist, ein Zufluchtsort der Sicherheit und Stabilität, ein Syrien des Wohlstands, des Fortschritts und der Blüte; ein Syrien, das seine Hand nach Frieden und Respekt ausstreckt, damit seine Bewohner in ein geliebtes, edles Vaterland zurückkehren, das – so Gott will – gedeiht, sicher und in Frieden ist."
Vermutlich dauerhafte Präsenz Israels in Pufferzone geplant
Die „Washington Post“ warnte davor, dass die israelischen Aktivitäten in den Dörfern, in die in Südsyrien vorgedrungen wurde, darauf hindeuten, dass Tel Aviv eine dauerhaftere Präsenz in der Region anstrebt.
Aktuelle Satellitenbilder zeigen zwei Militärbasen, die von der israelischen Armee in der Nähe des besetzten syrischen Golans errichtet wurden, sowie Vorbereitungen für den Bau einer dritten Basis.
Der Bildanalyst der Website „Contrasted Ground“, William Godheind, erklärte, dass die beiden neuen Standorte offenbar vordere Beobachtungsbasen sind, die in ihrer Struktur und ihrem Stil denen ähneln, die im von Israel kontrollierten Teil der Golanhöhen zu finden sind.
Er meinte, dass die erste Basis den israelischen Kräften eine bessere Sicht bieten wird, während die zweite einen besseren Zugang zum Straßennetz in der Region hat – was auch für eine dritte Basis gelten würde, falls diese im äußersten Süden Syriens errichtet wird.
Zudem wies er darauf hin, dass die Satellitenbilder auch eine neue Straße zeigten, die etwa zehn Meilen südlich der Stadt al-Qunaytirah verläuft und sich von der Grenze bis zum Gipfel eines Hügels in der Nähe des Dorfes Kudna erstreckt, wodurch den israelischen Streitkräften ein neuer Beobachtungspunkt verschafft wird.
Aufklärung des „Hama-Massakers“ gefordert
Ein Menschenrechtsnetzwerk forderte dazu auf, eine Untersuchung einzuleiten, um die Wahrheit aufzudecken und Gerechtigkeit für die Opfer des Hama-Massakers von 1982 herzustellen. Es verwies dabei auf eine Reihe rechtlicher und praktischer Maßnahmen, die ergriffen werden müssen.
Das syrische Netzwerk für Menschenrechte erklärte in einem Bericht anlässlich des 43. Jahrestages des Hama-Massakers am Sonntag, dass das Öffnen dieser verschlossenen Akte für die neue syrische Regierung eine unabdingbare Notwendigkeit darstelle – ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Übergangsjustiz und zur Wiederherstellung der Rechte.
Das Netzwerk fügte hinzu, dass die Einleitung einer offiziellen Untersuchung des Massakers aus verschiedenen Gründen nicht aufgeschoben werden dürfe, allen voran wegen des systematischen Charakters des Verbrechens, der weitreichenden Folgen, der gewaltsamen Vertuschung und des ungewissen Schicksals der Vermissten sowie wegen der Plünderung von Eigentum und der Zerstörung der städtischen Infrastruktur.
Es verwies darauf, dass die Ziele der Untersuchung darin bestünden, die für das Massaker Verantwortlichen – sowohl Einzelpersonen als auch Organisationen – zu identifizieren, die begangenen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, die Standorte von Massengräbern aufzudecken und die würdevolle Wiederbestattung der Opfer sicherzustellen.
Abschließend wurde die Notwendigkeit betont, ein nationales Untersuchungskomitee zu bilden, die Beteiligten zur Rechenschaft zu ziehen, die justizielle Zusammenarbeit mit internationalen Institutionen zu intensivieren sowie die beschlagnahmten Güter zurückzuerlangen und den Wiederaufbau voranzutreiben.
Pläne des Ministers für Elektrizität, Ingenieur Omar Shaqrouq:
Ein großer Teil der Kraftwerke – insgesamt zwölf in Syrien – wurde schwer beschädigt, sodass einige außer Betrieb genommen wurden. Die derzeitige Produktionskapazität der Kraftwerke liegt bei 4000 Megawatt, sofern der nötige Treibstoff zur Verfügung steht, während aktuell nur etwa 1300 Megawatt erzeugt werden. Der Strombedarf des Landes wird auf 6500 Megawatt geschätzt.
Wir führen mehrere Wartungsarbeiten in verschiedenen Kraftwerken durch, die sich auf Teil- und Generalwartungen verteilen – trotz der Schwierigkeiten, denen wir gegenüberstehen, wie zum Beispiel der Beschaffung von Austauschteilen angesichts fortbestehender Hindernisse sowie der erschwerten Sicherstellung von ausländischen Ersatzteilen und der notwendigen Finanzierung zur Deckung der Kosten dieser Teile.
Die aktuelle Lage der Elektrizitätsversorgung in Syrien leidet unter zahlreichen Problemen, angefangen bei der Stromerzeugung über die Umspannwerke bis hin zu den Übertragungsleitungen. Ein großer Teil der Übertragungsleitungen ist vollständig zerstört, während ein anderer Teil dringend gewartet werden muss.
Unser kurzfristiges Ziel ist es, die Stromerzeugung auf 4000 Megawatt zu steigern, um die täglichen Rationierungszeiten auf 8 bis 10 Stunden zu reduzieren. Langfristig streben wir an, eine durchgehende 24-Stunden-Versorgung mit Elektrizität sicherzustellen.