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Freiheit, Hoffnung und die syrische Identität

Nach dem Sturz des Assad-Regimes feiern Syrer*innen in Syrien ebenso wie im Exil. Das Ende der Diktatur verleiht Hoffnung auf eine Zukunft der Freiheit und Demokratie, ohne Angst vor politischer Repression.

Freiheit, Hoffnung und die syrische Identität
Fotograf*in: Nasser Alzayed

Heute ist der erste Tag für Syrien ohne die Assad-Familie. Eine Nacht ohne Angst vor dem Geheimdienst, ohne Angst vor der Wand. Meine Eltern sagten mir immer: „Sprich nicht über Politik, denn die Wände haben Ohren.“ Das bedeutete, dass der Geheimdienst hören würde, was man sagt.

Gestern war ich bei einer Demonstration in Hamburg, um zu feiern, dass die Syrerinnen zu ihren Kindern zurückkehren und dass Assad gestürzt ist. In jeder Stadt, in der Menschen aus Syrien leben, wurden ähnliche Demonstrationen organisiert. Viele Syrerinnen im Exil haben sich gemeinsam mit denen in Syrien gefreut.

Durch diese große Hoffnung werden die Syrerinnen eine neue Identität erlangen, denn ihre syrische Identität wurde wegen der Kriege von Assad gegen das syrische Volk gestört. In den letzten 13 Jahren haben sie vollkommen unterschiedliche Erfahrungen gemacht und dementsprechend unterschiedliche Erinnerungen entwickelt. Menschen, die seit mehr als sieben Jahren im Exil leben, haben völlig andere Erlebnisse als Syrerinnen, die in Europa leben. Diejenigen, die unter Assads Herrschaft standen, haben eine andere Geschichte als jene, die in der Türkei oder in Idlib leben.

Dies war meine große Sorge: Wie können sich die Syrerinnen jemals wieder vereinen und wie kann diese Gesellschaft wieder zusammenwachsen? Doch gestern habe ich, wie viele andere, erlebt, dass die Hoffnung nach der Stürzung Assads die gesamte Gesellschaft vereinen kann. Junge und alte Menschen, Frauen und Männer, Musliminnen und Christinnen, Araberinnen und teilweise auch Kurd*innen haben gemeinsam gefeiert und dabei ihren Stolz auf die syrische Identität zum Ausdruck gebracht.

Leider bleiben die Akten tausender Häftlinge eine große Wunde für alle Syrer*innen. Eltern von Verschwundenen suchen nun nach allen Informationen aus Assads Gefängnissen, um herauszufinden, ob ihre Kinder noch leben und vielleicht befreit werden könnten. Das erfordert eine Übergangsjustiz. Es wird sehr lange dauern, all die Informationen und Beweise zu sammeln. Das Syrische Netzwerk für Menschenrechte schätzt, dass im Jahr 2020 rund 150.000 Menschen entweder in Haft- oder Gefängniszentren festgehalten wurden oder unter zweifelhaften Umständen verschwunden sind.

Aber niemand weiß genau, wie viele Menschen noch inhaftiert sind oder vermisst werden. Auch das Zusammentragen aller Namen wird lange Zeit in Anspruch nehmen. Bis dahin wünsche ich allen Müttern und Vätern, dass sie ihre Kinder eines Tages wiedersehen.

Danke, dass Du das „syrien update“ liest. Falls Du neu dazu gekommen bist, fülle bitte diese kurze Umfrage aus.

Liebe Grüße
Hussam Al Zaher

Chefredakteur

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