Seit 16 Jahren lebt Fabián in Hamburg. Er wird im mexikanischen Monterrey geboren und wächst dort auf. In seiner Heimatstadt studiert er Bildende Kunst, doch in Mexiko hat er nicht die Möglichkeit, sich künstlerisch weiterzuentwickeln. 10 Jahre arbeitet er deshalb als Grafikdesigner im Marketingbereich. Als er nach Deutschland kommt, beschließt er, sich ausschließlich der Kunst zu widmen. Fabián arbeitet mit vielen verschiedenen Kunstformen, definiert sich aber als visueller Produzent. „Alles, was ich mache, ist visuell.“
Eigentlich wird Fabián von allen „Calavera“ genannt. Auf Deutsch bedeutet das „Totenkopf“. Eine tiefere Bedeutung hat der Name allerdings nicht. Fabián findet Totenköpfe einfach ästhetisch. „Der Tod hat uns in unserem Land schon immer begleitet. Es gibt kein Leben ohne den Tod.“ Das Motiv des Totenkopfes wiederholt sich auch in den Linol-Drucken, die er in der Galerie La Døns im Gängeviertel ausgestellt hat, wo wir uns zum Interview treffen. Das Hamburger Gängeviertel ist auch der Gründungsort der Veranstaltungsreihe „Cumbia im Viertel“, die Fabián seit 10 Jahren organisiert.
“Ich habe nicht wirklich das Gefühl, dass ich arbeite”
„Der Vorteil von Kunst ist, dass man alles ausprobieren kann.“ Musik, Theater, Darbietungen, Illustrationen, Animationen. Das ist nur eine Auswahl von dem, was Fabián künstlerisch macht. Insofern ist er ein Multitasker und dabei tut er das, was ihm Spaß macht. „Ich habe nicht wirklich das Gefühl, dass ich arbeite.“ In Deutschland gibt es die Räume und Möglichkeiten, selbst aktiv zu werden. Auch staatliche und städtische Förderungen machen es leichter, eigene Ideen und Projekte umzusetzen. Das ist ein großer Vorteil gegenüber Mexiko.
Seine Herkunft beeinflusst Fabiáns Arbeit als Künstler stark. Monterrey ist besonders bekannt für die Musikrichtung Cumbia. „Man steigt in den Bus und der Busfahrer hört Cumbia. Man ist auf dem Markt und hört Cumbia. Man steigt ins Taxi und der Fahrer hört Cumbia.“ Heute ist Cumbia durch die Verbreitung in Film und Musik akzeptierter, aber früher war es eine marginalisierte Musik, die mit dem Konsum von Marihuana, mit Banden, mit Konflikten in Verbindung gebracht wurde. Dass Cumbia heute mehr Mainstream geworden ist, findet Fabián gut. Denn dadurch erhöht sich die Sichtbarkeit.
Es geht um nicht weniger als um die Entkolonialisierung unseres Geistes
Aber auch die Aspekte der Kolonialisierung von Kultur zu berücksichtigen, ist ihm wichtig. „Wenn wir dem MoMA („Museum of Modern Art“, Anm. der Autorin) in New York mehr Bedeutung beimessen, weil wir glauben, dass die westliche Kultur Kunst ist und das, was wir in unseren Ländern haben, keine Kunst ist, dann müssen wir das überdenken.“ Es gibt Machu Picchu in Peru. Die Pyramiden in Ägypten. Aber alle wollen nur die Mona Lisa sehen. Dabei geht es Fabián um nicht weniger als die Entkolonialisierung unseres Geistes.
„Viele Kids in der Musikbranche kommen und wollen Techno-DJs werden. Wir sind mit Rock, Punk oder Techno aufgewachsen und denken, das ist Musik.“ Aber es gibt auch einen großen kulturellen Reichtum in Lateinamerika, wie die Marimba (mexikanisches Instrument, Anm. der Autorin), die Musik des Pazifiks in Kolumbien, die Musik der Anden in Peru und Chile. Von der westlichen Musik hat Fabián genug. Er möchte die musikalische Vielfalt der lateinamerikanischen Kultur fördern und verbreiten. Musik bietet auch die Möglichkeit, Communities zu gründen, Veranstaltungen zu planen und Menschen einzuladen. Fabiáns Ziel ist es, dass mehr Menschen die lateinamerikanische Kultur kennenlernen und die Musikszene bekannter wird.
“Wer keine Identität hat, ist wie ein Schiff auf hoher See.”
Letztendlich ist das Ergebnis von Fabiáns Projekten immer Gemeinschaft. Das Gründen von Communities. Zugehörigkeit. Identität. Dadurch wird auch die eigene Identität gestärkt und man kann sich an einem Ort wie Deutschland ein bisschen wie zu Hause fühlen, auch wenn man sehr weit weg von Lateinamerika ist. Das Wort „Identität“ hat für Fabián eine große Bedeutung. Manchmal weiß er nicht genau, was er in Deutschland macht. Wie lange er hier bleiben kann. Ob er jemals in seine Heimat zurückkehren wird. Wenn es im Leben solche Unsicherheiten gibt, dann ist es wichtig, eine gefestigte Identität zu haben. „Wer keine Identität hat, ist wie ein Schiff auf hoher See“.
Identität hat dabei viel mit der Gemeinschaft zu tun, der man angehört. Die kulturellen Veranstaltungen, die Fabián organisiert, helfen ihm dabei, die passenden Menschen zu finden. Und heute kann er sagen, dass er hier glücklich ist. Seine Familie ist vielleicht nicht hier, aber er hat eine Gemeinschaft. Und die ist Teil seiner Identität geworden.
Das geht nicht allen so. Viele Menschen, die Fabián kennt, fühlen sich in Deutschland nicht wohl und wissen nicht, ob sie noch lange bleiben können und wollen. „Wenn man sein Land, seine Kultur, seine Familie und seine Sprache verlässt, wird die Suche nach einer gemeinsamen Identität wichtig“, sagt er. Durch das Verlassen der Komfortzone entwickelt sich auch der persönliche Lebensweg weiter.
„Als Menschen sind wir soziale Wesen“
In Fabiáns Communities sind auch Freund*innen, die keinen lateinamerikanischen Hintergrund haben. Aber sie haben in der Gemeinschaft ihre Identität gefunden. Um den Schutz der ursprünglichen Heimat zu verlieren, muss man nicht einmal das Land verlassen. Es reicht schon, in eine andere Stadt zu ziehen und das Umfeld verändert sich. Dann braucht man neue Gruppen und Netzwerke, die einen tragen, wenn man zum Beispiel mal ins Krankenhaus muss. Der Ort, an dem Identität und Gemeinschaft wachsen können, sind für Fabián kulturelle Veranstaltungen: „Ich glaube, dass Identität in diesem ganzen Prozess die Basis für das ist, was mich bewegt.“
Mit einer Metapher beschreibt Fabián, wie wichtig Zugehörigkeit ist. Selbst wenn man auf dem Gipfel eines Berges steht, ist es für einen Menschen wichtig zu wissen, dass es dort unten jemanden gibt, dass es Gemeinschaft gibt. „Als Menschen sind wir soziale Wesen.“ In diesem Sinne fühlt sich Fabián in Hamburg und in Deutschland zu Hause und geht das Thema Zugehörigkeit ganz pragmatisch an: „Wenn du nicht die passende Community für dich findest, kannst du einfach selbst eine gründen.“