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Warum uns Empathie allein nicht weiterhilft

Was genau ist Empathie? Wie beeinflusst sie unsere Entscheidungen? Welche Rolle sie bei unserer Entscheidungsfindung spielt, ist uns oft nicht bewusst.

Warum uns Empathie allein nicht weiterhilft
Fotograf*in: Gaspar Uhas auf unsplash

Empathie hat einen ziemlich guten Ruf – und das nicht ohne Grund: Sie lässt uns in die Schuhe unserer Mitmenschen schlüpfen, lässt uns mit ihnen mitfühlen und motiviert altruistisches Verhalten. Es klingt plausibel, dass Empathie uns zu besseren Menschen macht, während wir in Abwesenheit von Empathie eher zu Egoist*innen werden. Kein Wunder also, dass angesichts von Rechtsruck und politischer Polarisierung die Forderungen nach mehr Empathie in der Politik zunehmen.

Und tatsächlich ist aktuell, gelinde gesagt, viel los: Eine Katastrophenmeldung jagt die nächste. Ukraine, Gaza, Sudan – vor Kriegen und Krisen wissen wir kaum noch, wohin. Und als Menschen mit begrenzten Ressourcen müssen wir Entscheidungen treffen; darüber, wem unsere Aufmerksamkeit gilt, wem unsere Hilfsangebote, wem unsere Solidarität. Aber anhand von welchen Kriterien sind diese Fragen zu beantworten?

Jedenfalls nicht mithilfe von Empathie, finde ich. Sie macht uns nämlich nicht automatisch zu besseren Menschen – im Gegenteil. Empathie hat wichtige Funktionen. Doch bei näherer Betrachtung ist sie bestenfalls moralisch neutral und damit ganz sicher nicht geeignet, um moralische Entscheidungen zu treffen.

Was ist Empathie?

Empathie ist ein weit gefasster Begriff, in der Forschung und auch umgangssprachlich existieren unterschiedliche Definitionen. Ich beziehe mich hier auf das, was der Psychologe Paul Bloom als „emotionale Empathie“ bezeichnet. Er definiert Empathie als die Fähigkeit, mit anderen mitzufühlen. Es geht also weniger um die Fähigkeit, die emotionalen Zustände anderer Menschen gedanklich nachzuvollziehen, sondern um emotionale Ansteckung: Wenn du weinst, muss ich auch weinen.

Warum Empathie nicht ausreicht

Kurz gesagt: Das Problem mit Empathie ist, dass sie nicht gerecht verteilt ist. Tatsächlich empfinden wir vor allem dann Empathie, wenn uns unser Gegenüber ähnlich zu sein scheint. In der Psychologie spricht man vom Ingroup Bias. Zu unser Ingroup zählen diejenigen Personen, zu denen wir uns zugehörig fühlen. Das kann sich durch harmlose Identitätsmerkmale wie Zugehörigkeit zu einem Fußballverein oder Studiengang entscheiden, aber eben auch durch Hautfarbe, Religion oder Herkunft. Wir wissen, dass Empathie altruistisches Verhalten motiviert. Problematisch wird es also dann, wenn sich dieses Verhalten nur bei bestimmten Gruppen äußert.

In der Studie eines internationalen Forschungsteams um die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Grit Hein zeigt sich eindrucksvoll, wie unser Empathievermögen von diesem Ingroup Bias beeinflusst wird. Fußballfans sahen, wie ein Fan ihrer Lieblingsmannschaft (Ingroup-Mitglied) oder einer rivalisierenden Mannschaft (Outgroup-Mitglied) Schmerzen erlitt. Sie konnten ihrem Gegenüber helfen, indem sie selbst Schmerzen ertrugen. Dafür wurde die Aktivität in der anterioren Insula gemessen, einem für Empathie relevanten Gehirnareal. Interessanterweise zeigte sich signifikant mehr Aktivität in der anterioren Insula, wenn das Gegenüber als Fan des eigenen Teams beschrieben wurde, als wenn das Gegenüber Fan des gegnerischen Teams war. Die erhöhte Empathie für Fans des eigenen Clubs lässt sich also neurophysiologisch beobachten.

Das mag alles noch ziemlich harmlos klingen, solange die Unterscheidung in „wir“ und „die“ anhand harmloser Identitätsmerkmale getroffen wird, wie ein Fan des HSV zu sein oder eben von St. Pauli. Tückisch wird es dann, wenn die Ingroup-Outgroup Grenze entlang von Merkmalen wie Religion, Hautfarbe oder Herkunft gezogen wird. Über unterschiedliche Studien hinweg zeigten die Versuchspersonen stärkere empathische Reaktionen auf Personen, die dieselbe ethnische Zugehörigkeit oder Hautfarbe hatten wie sie.

Es fällt nicht schwer, die Ergebnisse, die unter Laborbedingungen zustande gekommen sind, aufs „echte Leben“ zu übertragen. Unsere spontane empathische Reaktion beeinflusst in aktuellen Konflikten, wem unsere Solidarität zukommt. Zuletzt konnte man das im Umgang mit ukrainischen Geflüchteten im Vergleich zu Geflüchteten aus beispielsweise Syrien oder Afghanistan beobachten: Die ungemeine Hilfsbereitschaft der Deutschen, die Gastfreundschaft und tiefe Betroffenheit über Putins brutalen Angriffskrieg waren vorbildlich, und zeigen, was möglich ist.

Dieselbe Solidarität kam den Menschen aus Ländern des globalen Südens nicht immer zu. In Hamburg fuhren nach dem 7. Oktober die Busse des HVV mit dem Spruch „#Stoppt den Krieg“ durch Hamburg. Auf Busse, die Solidarität mit Afghan*innen, die unter der brutalen Taliban Herrschaft leiden, ausdrücken, warte ich bis heute vergeblich. Die Gründe dafür sind vielschichtig, aber wir sollten die Rolle der Empathie dabei nicht vernachlässigen; für die weiße Mehrheitsgesellschaft sind Menschen aus der Ukraine eben näher dran – religiös, kulturell, phänotypisch.

Das Tückische an diesem Effekt ist nun mal: Er ist uns nicht bewusst. Wir müssen keine rassistischen Einstellungen haben, um diesen Urteilsfehlern wie dem Ingroup Bias zu erliegen. Überhaupt korrelieren diese Urteilsfehler (sogenannte implizite Biases) nicht unbedingt mit bewussten Einstellungen. Sie bleiben also unbewusst.

Ein Plädoyer für Selbstreflektion

Was lässt sich zur Empathie als Grundlage moralischen Handelns also sagen? Empathie ist und bleibt unverzichtbar für zwischenmenschliche Beziehungen. Dennoch möchte ich dafür plädieren, unsere Empathie mit Vorsicht zu genießen und sich einen kritischen Umgang mit ihr anzugewöhnen.

Wir sollten uns klarmachen, dass unsere Empathie von Urteilsfehlern durchzogen ist. Im Zweifelsfall sollten wir lieber eine Sekunde länger darüber nachdenken, ob unser Handeln unseren Einstellungen entspricht, und dem, was wir für gut und richtig halten. Vermutlich werden wir immer ein bisschen mehr Empathie mit Menschen empfinden, die uns ähnlich erscheinen. Das macht uns noch nicht automatisch zu Rassist*innen, birgt aber das Risiko, ungerechte Entscheidungen zu treffen. Doch das muss nicht so sein.

Bei all diesen schlechten Nachrichten über die menschliche Eigenschaft der Empathie gibt es nämlich zuletzt auch eine gute: Wir sind als Menschen mit einem ziemlich einzigartigen Gehirn ausgestattet, das uns erlaubt, rationale Entscheidungen zu treffen, die auf mehr beruhen, als auf spontanen Gefühlsreaktionen. Nämlich auf Grundprinzipien von Vernunft und Moral. Gleichheit, Gerechtigkeit und universelle Menschenrechte wären beispielhaft zu nennen. Empathie reicht längst nicht aus, um uns zu gerechten Entscheidungen zu verleiten, vielleicht sogar im Gegenteil. Wir sind aber glücklicherweise auch nicht auf sie angewiesen. Vor allem brauchen wir Selbstreflexion und die Bereitschaft, uns selbst zu hinterfragen. Immer und immer wieder.

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