Nach monatelangen Verhandlungen und zahlreichen diplomatischen Begegnungen zeichnet sich in Syrien eine vielschichtige Dynamik ab. Offiziellen Angaben zufolge signalisiert die „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (QSD) eine grundsätzliche Bereitschaft, sich der neuen syrischen Armee anzuschließen, die im Anschluss an den Sturz des abgesetzten Präsidenten Baschar al-Assad gegründet werden soll. Gleichzeitig sind zahlreiche außenpolitische und militärische Akteure – von regionalen Mächten bis hin zu NATO-Partnern – in den Diskurs über die Zukunft Syriens involviert.
QSD-Anführer Mazlum Abdi betonte in einem Interview mit AFP, dass im Rahmen der laufenden Verhandlungen mit der neuen Verwaltung in Damaskus eine Vereinbarung erzielt wurde, die sich konsequent gegen jegliche Teilungsprojekte richtet. In einer schriftlichen Stellungnahme, die vom französischen Sender France 24 übernommen wurde, erklärte Abdi: „Wir sind uns einig – wir stehen für die Einheit und Integrität des syrischen Territoriums ein und lehnen jede Initiative ab, die die Einheit des Landes gefährden könnte.“
Am 20. Dezember zeigte sich Abdi in der britischen Zeitung The Times unmissverständlich: Seine rund 100.000 Kämpfer seien bereit, sich aufzulösen, um in die neue syrische Armee integriert zu werden. Diese Schritte seien Teil eines größeren Prozesses, in dem sämtliche bewaffnete Gruppen in Syrien, so die Position der „Militärischen Einsatzleitung“ unter Ahmad al-Sharaa (auch bekannt als Abu Muhammad al-Dscholani), unter dem Dach des syrischen Verteidigungsministeriums zusammengeführt werden sollen – allerdings nur auf individueller Basis und nicht als geschlossene Einheiten.
Bedingungen für einen erfolgreichen Integrationsprozess
Ahmad al-Sharaa formulierte drei wesentliche Anforderungen, um zur Lösung der Krise im Nordosten Syriens beizutragen:
- Keine Spaltung Syriens – auch nicht in Form föderaler Modelle.
- Abzug aller ausländischen Kämpfer, die mit den Sicherheitsinteressen benachbarter Staaten kollidieren.
- Konzentration sämtlicher Waffen in staatlicher Hand.
Diese Forderungen sollen verhindern, dass beispielsweise kurdische Kämpfer, die international als Terrororganisation (z. B. Mitglieder der PKK) eingestuft werden, in die neuen Strukturen integriert werden. Abdi betonte in einem Reuters-Interview, dass ausländische Kämpfer – insbesondere jene, die aus anderen Teilen des Nahen Ostens kommen – Syrien verlassen müssten, sobald ein umfassender Waffenstillstand mit der Türkei zustande käme. Ankara betrachtet die QSD als eine wesentliche Sicherheitsbedrohung und unterstützt daher militärische Maßnahmen gegen sie.
Visionen der Autonomieverwaltung und konzeptionelle Vorstellungen
Die QSD ist Teil der größeren politischen Dachorganisation der „Autonomieverwaltung“, die in einem sogenannten Gesellschaftsvertrag ihre Vision für eine „demokratische Republik Syrien“ vorstellte. Die „Demokratische Union“-Partei (PYD) will das Modell der Selbstverwaltung landesweit etablieren. Aldar Khalil, ein Mitglied des PYD-Präsidiums, erklärte am 10. Januar in einer Sendung von Rojava TV, dass Syrien sich vom zentralistischen Nationalstaat lösen müsse, um ein demokratisches und pluralistisches System zu etablieren, das die ethnische und religiöse Vielfalt – von Kurd*innen über Araber*innen bis zu Suryoye, Assyrer*innen, Armenier*innen, Turkmen*innen und Tscherkess*innen – widerspiegelt.
Die Konzepte der Selbstverwaltung, der „demokratischen Nation“ (ein Begriff, der auf den inhaftierten PKK-Führer Abdullah Öcalan zurückgeht) und der Frauenfreiheit sollen als zentrale Bausteine den Wiederaufbau Syriens prägen. Dennoch betont Khalil, dass der Sturz Assad’ erst den Beginn eines „wirklich revolutionären Prozesses“ darstelle, der kollektives Engagement und den breiten politischen Dialog erfordere.
Im Gesellschaftsvertrag, insbesondere in Artikel 120, wird geregelt, dass das Verhältnis der Autonomieverwaltung zu Damaskus und anderen Regionen in einer demokratisch abgestimmten Verfassung festzulegen sei. Ferner soll die Autonomieverwaltung ein eigenes administratives Zentrum und eine eigene Flagge führen dürfen – eine Symbolik, die jedoch änderbar ist, sollte sich eine einheitliche demokratische Verfassung für ganz Syrien ergeben.
Herausforderungen und Hindernisse beim Zusammenschluss
Trotz der erklärten Bereitschaft zur Vereinigung gibt es gravierende Hemmnisse. Ahmad al-Sharaa weist darauf hin, dass die Präsenz bewaffneter Gruppen außerhalb staatlicher Kontrolle – etwa in Form ganzer Milizen – das Risiko einer „Miliz-Staatlichkeit“ bergen würde, wie man sie in Libyen oder im Irak beobachten könne. Eine kollektive Integration der QSD in das Verteidigungsministerium erscheint vor diesem Hintergrund unrealistisch. Stattdessen sei nur die Aufnahme einzelner Kommandeure denkbar. Gleichzeitig dürfte die Türkei einen weiteren Ausbau der QSD in der Nähe ihrer Grenze strikt ablehnen.
Neuordnung der Militärstrukturen
Bereits am 24. Dezember wurde von der „allgemeinen Führung“ in Syrien beschlossen, alle bestehenden Militärfraktionen aufzulösen und sie in das neue Verteidigungsministerium zu integrieren. Offiziell wurde Murhaf Abu Qasra zum Verteidigungsminister der Übergangsregierung in Damaskus ernannt. In einer Pressekonferenz mit dem türkischen Außenminister Hakan Fidan wurde betont, dass innerhalb weniger Tage ein neues Verteidigungsministerium gebildet und ein Komitee neuer Offiziere eingesetzt werde. Ziel sei es, sämtliche Waffen in staatliche Kontrolle zu bringen.
Parallel zu diesen Entwicklungen forderte Fidan, dass sich die kurdischen Truppen der QSD auflösen müssten, sofern sie tatsächlich an einer Integration in die zentrale syrische Verwaltung interessiert seien. Er kritisierte, dass die QSD weiterhin eine ernsthafte Bedrohung für die arabische Mehrheit östlich des Euphrats darstelle und dabei fortwährend die natürlichen Ressourcen des syrischen Volkes beraube. Fidan machte deutlich, dass regionale Akteure die Verantwortung hätten, die Entwicklungen in Syrien in eine stabile Richtung zu lenken – und betonte dabei, dass die USA die einzigen Partner*innen seien, mit dem Ankara in diesen Fragen in Kontakt stehe.
Internationale Perspektiven und weiterführende Dialoge
Auf internationaler Ebene zeigen sich Diplomaten und führende politische Vertreter besorgt über die weitere Entwicklung Syriens. Ein offizieller Delegationskreis aus Nord- und Ostsyrien besuchte kürzlich Großbritannien, um über wesentliche Themen hinsichtlich des Schutzes der syrischen Gebiete und den Wiederaufbau des Landes zu diskutieren. Im britischen Parlament fanden Dialogseminare statt, bei denen auch hochrangige Mitglieder des House of Lords anwesend waren. Die Delegation legte dabei ihre Vision dar, die eine umfassende Beteiligung aller syrischen Bevölkerungsgruppen an einem friedlichen, demokratischen und inklusiven politischen Übergangsprozess vorsieht.
Gleichzeitig steht die Frage der Rolle externer Akteure im Raum: Während der türkische Außenminister Hakan Fidan wiederholt betonte, dass Frankreich in Syrien keine Rolle spielen solle und nur die USA als verlässlicher Partner in Betracht kämen, versuchten auch Paris und Washington, ihre NATO-Verbündeten davon zu überzeugen, von einem Angriff auf die kurdisch geführten Streitkräfte der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) abzusehen. Die Türkei betrachtet diese Kräfte hingegen als existentielle Bedrohung, da sie eng mit der PKK verbunden sind.
Obwohl die QSD grundsätzlich ihre Bereitschaft signalisiert, sich der neuen syrischen Armee anzuschließen, ist der Weg zu einem einheitlichen Staatsaufbau von zahlreichen inneren und äußeren Faktoren geprägt. Neben der internen Debatte über die Rolle bewaffneter Gruppen und den Integrationsprozess spielen externe Kräfte – vor allem die Türkei, die USA und andere regionale Akteure – eine entscheidende Rolle. Der Zusammenschluss der QSD mit der neuen syrischen Armee und der damit verbundene Wiederaufbau des Landes bleiben in den kommenden Wochen und Monaten zentrale Stellschrauben, deren Erfolg maßgeblich von der Bereitschaft zu Kompromissen und einem inklusiven politischen Dialog abhängen wird.