Zum Inhalt springen
5 Min. Lesezeit Newsletter

Eindrücke vom Hamburger Filmfest

In dieser Ausgabe des Newsletter roots&reels schreibt Schayan über seine Eindrücke vom Hamburger Filmfest: Welche Filme überzeugen, welche nicht?

Eindrücke vom Hamburger Filmfest
Fotograf*in: NEOSiAM 2024+ auf Pexels

Die letzten zwei Wochen standen (zumindest für mich) ganz im Zeichen des Hamburger Filmfests, welches zum 32. Mal insgesamt und zum ersten Mal unter der Leitung von Malika Rabahallah stattfand. Die ehemalige Producerin, Co-Autorin und Co-Regisseurin löste den langjährigen Direktor Albert Wiederspiel ab. Vor ihrer spannenden neuen Aufgabe war Rabahallah bei der MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, wo sie seit 2015 die Förderabteilung geleitet hatte und für internationale Koproduktionen und Kooperationen zuständig war.

In den letzten Jahren hatte sie sich auch stärker für die Förderung, Vernetzung und Weiterbildung von Filmschaffenden mit Migrationsgeschichte eingesetzt. Zum Beispiel durch eine Workshopreihe im letzten Jahr, an der auch ich durch meinen ehemaligen Job als einer der Förderer teilgenommen hatte. Dort wollten wir jungen, insbesondere nicht-weißen Filmschaffenden eine Plattform bieten, sie miteinander zu vernetzen und ihnen ermöglichen, die deutsche Förderlandschaft besser kennenzulernen.

Ich war also sehr gespannt, was für ein Programm Malika in ihrem ersten Jahr zusammenstellen und dem Hamburger Publikum bieten würde. Ihr Team punktete schon vor Beginn mit einer besonders schönen Botschaft: Am 3. Oktober würde es komplett freien Eintritt geben. Andere Filmfestivals könnten sich (und werden sie in Zukunft bestimmt auch) eine Scheibe davon abschneiden, um sich attraktiver zu machen in diesen Zeiten der Inflation.

Doch freier Eintritt hin oder her, die Filme müssen am Ende des Tages ja auch stimmen. Hier also ein paar Gedanken von mir zu einigen Titeln im Programm des Filmfestes Hamburg 2024:

Meidne Top 3 vom Hamburger Filmfest

Der dänisch-iranische Regisseur Ali Abbasi, der zuletzt mit seinem Serienmörderfilm „Holy Spider“ international für viel Aufsehen gesorgt hatte, inszeniert in „The Apprentice“ einen großartigen Sebastian Stan in der Rolle des jungen Donald Trump. Es wird hier der Aufstieg eines ehrgeizigen Menschen gezeichnet und die Charakterzüge, die wir heute aus den Schlagzeilen kennen (Narzisst, Rassist, Sexualstraftäter, Lügner und vieles mehr), diese scheinen schon immer vorhanden gewesen zu sein. „The Apprentice“ ist eine großartige Charakterstudie mit einem sehr soliden Cast. Und ab dem 17. Oktober auch regulär im Kino.

„The Assessment“ ist ein erschreckend zeitgemäßer Science-Fiction-Film. Regisseurin Fleur Fortuné erzählt von einer Welt, die infolge des Klimawandels unbewohnbar geworden ist, wo die Regierung entscheidet, wer Kinder bekommen darf und wer nicht. In einem abgeschiedenen, futuristischen Haus lebt ein Paar, das von einer Gutachterin besucht wird. Eine Woche lang müssen sie unter Beweis stellen, dass sie dafür geeignet sind. Himesh Patel und Elizabeth Olsen brillieren in dieser psychologischen Studie als nervöse Möchtegern-Eltern sowie Alicia Vikander als mysteriöse Regierungsvertreterin.

Der Film passt gut als „double bill“ zu „Good One“, ein ruhiges, nachdenkliches und nachdenklich machendes Drama von India Donaldson. In diesem Debütfilm wird ein Wanderurlaub gezeigt und die Dynamik, die sich über die paar Tage zwischen einer Tochter und ihrem Vater sowie seines Freundes entfaltet. Beide Filme, „The Assessment“ sowie „Good One“, handeln von Themen wie Erziehung, Regeln und wann wir sie brechen oder nicht und überhaupt dem Konzept von „Nature vs. Nurture“. Ich hoffe, dass die beiden Filme auch bald ins Kino kommen werden, damit du sie auch sehen kannst.

Meine beste Überraschung

Ich sage Überraschung, weil ich mit sehr wenigen Erwartungen in diesen Dokumentarfilm reingegangen bin und durchweg positiv überrascht wurde. „Googoosh – Made of Fire“ von Niloufar Taghizadeh dokumentiert die Sängerin und Schauspielerin Googoosh (bürgerlicher Name Faegheh Atashin), die seit über 50 Jahren eine Ikone der iranischen Popkultur ist. Nach der islamischen Revolution folgten Auftrittsverbot, Gefängnis und Hausarrest. Nach ein paar Jahrzehnten gelang ihr die Ausreise und damit ein Comeback im Exil.

Besonders ergreifend ist der Moment im Film, als Googoosh checkt, dass auch die jüngere Generation ihre Lieder kennt und genauso feiert wie ihre eigene Generation – damit hätte sie niemals gerechnet. Und dass sie heute ihre Stimme nutzt, um sich auf ihren Konzerten gegen das iranische Regime und der Ermordung von jungen Aktivistinnen auszusprechen, das gibt der ganzen Doku einen hoffnungsvollen Charakter. Vergangenheit und Gegenwart sind hier miteinander verwoben. Der Film ist ab heute in Deutschland im Kino, schau gerne nach, ob der auch in deiner Stadt läuft.

Meine größten Enttäuschungen

Ich möchte nicht lange negativ sein, deswegen nur zwei kurze Sätze zu den gehypten Filmen „Emilia Pérez“ von Jacques Audiard und „The Room Next Door“ von Pedro Almodovar. Ich fand beide Filme unausstehlich, trotz der vielen Awards in Cannes und Venedig. Wahrscheinlich werden auch viele Oscar-Nominierungen für die Schauspielerinnen in den jeweiligen Filmen folgen. Beide Filme starten in den nächsten Wochen auch hierzulande in den Kinos.

Wirst du dir die Filme anschauen? Wirst du die Dialoge und Erzählstränge dann auch so schrecklich finden wie ich? Wirst du dir auch denken, warum erzählen hier weiße Menschen wieder Geschichten von nicht-weißen Traumata und instrumentalisieren sie? Oder bin ich mal wieder das Problem? (Sorry, das waren jetzt mehr als zwei Sätze, ich weiß, ich bin auf jeden Fall das Problem).

Der deutsche Krimi in der Mediathek

Wer mich kennt, weiß, dass ich vor vielen Jahren mal in einer Filmproduktionsfirma in Berlin gearbeitet habe. Dort wirkte ich unter anderem an einer Krimiserie für das ZDF mit, die Ostfriesenkrimis. Ich selbst bin leider kein Fan von deutschen Krimis, nicht nur, weil es einfach zu viele im deutschen Fernsehen gibt, sondern auch, weil ich sie qualitativ einfach nicht gut genug finde.

Hier und da gibt es mal Ausnahmen (und ja, es kommt auch mal vor, dass einzelne Tatort-Folgen in Ordnung sind, siehe die letzte Ausgabe des Newsletters), doch meistens lassen die Drehbücher und die schauspielerischen Leistungen zu wünschen übrig. Auf jeden Fall stehen sie in keinem Vergleich zu ihren britischen, skandinavischen oder auch amerikanischen Counterparts wie „Broadchurch“, „The Killing“ oder „True Detective“.

Hinzu kommt ja auch der nicht unwichtige Aspekt der „Copaganda“, also dass solche Werke oft nur deshalb produziert werden oder dafür dienen sollen, das allgemeine Image der Polizei reinzuwaschen, vor allem wenn es im starken Kontrast zur eigentlichen Arbeit der Polizei im echten Leben steht. Das ist aber ein Thema beziehungsweise eine Newsletter-Folge für sich …

Interessiert war ich dennoch an „Die Polizistin und die Sprache des Todes“ von Lars Becker, der ebenfalls im Programm des Filmfestes Hamburg lief und ab sofort in der ZDF-Mediathek abrufbar ist. Einzig und allein wegen Thelma Buabeng, die in diesem Film die Hauptrolle der Fallanalystin Gloria Acheampong spielt. Als Schwarze Serienmord-Profilerin, die als Sonderermittlerin an der dänischen Grenze versucht, eine Mordserie aufzuklären, ist Buabeng sehr solide, auch wenn ich den Film am Ende dann doch genauso schwach fand wie andere deutschsprachige Fernsehkrimis sonst auch. Aber vielleicht findest du trotzdem gefallen daran.

Stefan Raab ist back

Apropos Influencer*innen: Stefan Raab ist back. Er ist zwar kein Influencer, macht sich sogar über diese lustig, aber sein Einfluss auf die deutsche Comedy-Szene steht außer Frage. Für die Jüngeren unter euch (wie alt seid ihr alle eigentlich?) wird der Mann wahrscheinlich kein allzu großer Begriff sein, aber Raab ist zumindest im deutschsprachigen Raum mit unter anderem TV Total einer der prägendsten Entertainer aller Zeiten geworden. Nach 10 Jahren ist er nun wieder da (nach einem spektakulären Boxkampf gegen Ex-Boxweltmeisterin Regina Halmich und einer dritten Niederlage gegen sie) und macht nun eine neue Show auf RTL+ um, hier paraphrasiere ich, „auch die neue Generation mit guter Unterhaltung zu versorgen“.

Ich bin mir nicht sicher, ob Raabs Humor in unserer Zeit überhaupt noch funktioniert und ob er für diese Zielgruppe relevant genug ist. Und ich frage mich, wie viele überhaupt ein kostenpflichtiges Abo bei RTL+ abschließen werden, um sich „Du gewinnst hier nicht die Million“ (so heißt die neue Show wirklich) anzuschauen. Eins ist sicher: Nichts endet. Daran denke ich die ganze Zeit. Superheldenfilme mit Wolverine, Nazis in Deutschland, Debatten über Abschiebungen und Migration und jetzt Stefan Raab. Das sind alles Themen, die nie wirklich weg waren, sie kommen immer wieder, vielleicht leicht abgewandelt oder im neuen Gewand, aber im Kern genau gleich.

NEU IM KINO: The Beast

Im Jahr 2044 sind solche banalen Sachen wie Emotionen Schnee von gestern. Nur kann sich Gabrielle (Léa Seydoux) nicht von ihren Gefühlen befreien und muss ihre DNA von einer KI „reinigen“ lassen. Dieser Prozess bedeutet, dass sie auf eine Reise durch ihre früheren Leben – einmal als Konzertpianistin im 20. Jahrhundert und dann als Schauspielerin im Jahr 2014 – geschickt wird.

Immer wieder trifft sie dabei auf Louis (George Mackay), die beiden scheinen über die Jahrzehnte und über verschiedene Leben hinweg miteinander verbunden zu sein. Der französische Regisseur Bertrand Bonello erzählt in „The Beast“ eine einzigartige Liebesgeschichte, die an Filme wie „Everything Everywhere All At Once“ oder „Eternal Sunshine of the Spotless Mind“ erinnert. Ich würde sagen, dass sich der Kinofilm lohnt, wenn man auf deepen, weirden Arthouse steht.

Teilen Teilen Teilen Teilen