Es gibt ein Sprichwort, das besagt, man solle nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen. Aber für jemanden wie mich – eine junge Frau mit kurdischen und russischen Wurzeln, die in Deutschland aufgewachsen ist – gab es oft keinen anderen Weg. Diese Wände waren überall: Im Klassenzimmer, wo mein Name nie richtig ausgesprochen wurde. Auf dem Schulhof, wo ich erklärt habe, warum ich zu Hause kein Schweinefleisch esse; und später bei Bewerbungen, wo mein Doppelname länger diskutiert wurde als meine Qualifikationen.
Als Jugendliche habe ich mich gefragt, wie viel Mühe es eigentlich braucht, um dazuzugehören. Perfektes Deutsch, perfekte Manieren, perfekte Anpassung – und doch blieb dieses nagende Gefühl, dass der Ort, den man Heimat nennen will, einen nicht ganz anerkennt. Es hat wehgetan, immer in der Fremde gesehen zu werden, auch wenn ich keinen Ort auf der Welt besser kenne als diesen.
Aber wer nur Wände sieht, übersieht leicht die Fenster. Deutschland hat mir nicht nur Widerstand, sondern auch Möglichkeiten gegeben. Hier habe ich gelernt, für mich einzustehen, meine Stimme zu finden, laut zu sein. Deutschland hat mich herausgefordert, aber es hat mir auch gezeigt, was alles möglich ist, wenn man bereit ist, für sich selbst einzustehen und mit dem Kopf durch die Wand zu brechen. Es ist dieses Spannungsfeld, das ich schätze: ein Land, das manchmal herausfordernd ist, aber mir die Freiheit gibt, diese Herausforderungen zu hinterfragen und an ihnen zu wachsen.
Ich liebe Deutschland nicht, weil es perfekt ist – sondern weil es Fehler hat und sie im besten Fall zu korrigieren versucht. Weil hier auch ein Kind aus einer kurdischen Familie Kanzler:in werden könnte. Weil Debatten laut, anstrengend und widersprüchlich sind, aber immerhin geführt werden. Und weil ich hier gelernt habe, dass Zugehörigkeit nicht bedeutet, stillschweigend zu übernehmen, sondern mitzugestalten.
Doch in diesen Tagen, in denen Deutschland taumelt, fühle ich Sorge. Die politische Landschaft wirkt wie ein wankender Boden. Eine Regierung ist gescheitert, die nächste droht nicht weniger zerbrechlich zu sein. Und während Krisen gären – Inflation, Außenpolitik, Klimawandel – bahnen sich gefährliche Strömungen ihren Weg an die Oberfläche. Stimmen, die Hass predigen, die „wir gegen die anderen“ schreien, die auf Ausgrenzung und Angst setzen, werden lauter.
Ich weiß, was es heißt, nicht verstanden zu werden. Aber ich weiß auch, was es bedeutet, ignoriert zu werden. Und wenn ich eine Botschaft an die weitergeben darf, die sich von Deutschland gerade verraten oder enttäuscht fühlen: Nicht zu wählen oder sich aus Trotz den Feinden der Demokratie zuzuwenden, hilft niemandem. Wut, Frust oder Unzufriedenheit dürfen uns nicht blind machen. Sie dürfen uns nicht dazu bringen, falsche Entscheidungen zu treffen.
Es gibt keine perfekte Partei, die jede unserer Hoffnungen oder Ansichten zu 100 Prozent repräsentiert – und diese wird es auch nie geben. Aber in einer Demokratie geht es nicht um Perfektion, sondern um das Aushandeln des Möglichen, um Kompromisse, die unsere Werte schützen. Jeder, der aus Enttäuschung oder Gleichgültigkeit nicht wählt, überlässt das Spielfeld denen, die mit Faschismus und Spaltung die Grundpfeiler unseres Zusammenlebens zerstören wollen. Jede verlorene Stimme macht die Stimmen derjenigen lauter, die Hass und Angst verbreiten.
Gehen wir also wählen – nicht aus blindem Egoismus, sondern aus klarem Bewusstsein. Weil wir ein Deutschland brauchen, das für Freiheit, Gerechtigkeit und Vielfalt steht. Ein Deutschland, das wir lieben können, auch wenn es manchmal hart ist. Ein Deutschland, das Fehler machen darf, aber niemals den Fehler, den Faschismus zu ignorieren und die dunkelsten Kapitel seiner Geschichte zu wiederholen.