Gestern hat der Flughafen von Damaskus endlich wieder seinen Betrieb aufgenommen. Der erste Flug aus Doha, Katar, ist bereits gelandet. An Bord waren 147 Passagiere, fast ausschließlich Syrer*innen, die wegen Assads Krieg gegen die syrische Bevölkerung schon vor langer Zeit das Land verlassen hatten. Nun kehren sie in ihre Heimat zurück – in ein freies Syrien.
Freiheit ist nicht bloß ein Wort, sondern eine Lebensform, deren Bedeutung viele Syrerinnen erst jetzt vollständig begreifen. Der Preis dafür war hoch: viel Blut, Schmerz und Leid. Ich hoffe, dass wir Syrerinnen diese Freiheit und den Frieden nun gemeinsam genießen können.
Aber es wird nicht einfach. Jetzt beginnt die harte Arbeit, bei der wir uns vereinen müssen, um unser Land wiederaufzubauen. Das ist besonders schwierig nach so vielen Jahren Krieg, in denen zahlreiche Milizen mit unterschiedlichen Interessen und Ideologien entstanden sind. Dazu kommt, dass 56 Jahre Baath-Herrschaft die Zivilgesellschaft zerstört haben. Jegliche Art von Zusammenarbeit oder organisierter Gesellschaftsarbeit galt als Bedrohung für das Assad-Regime.
Mit dem Beginn der Revolution entstanden viele NGOs, Parteien und Mediengruppen, durch die eine neue Zivilgesellschaft aufgebaut wurde. Dabei wurden allerdings auch Fehler gemacht: Einige syrische NGOs und zivilgesellschaftliche Gruppen haben ihre Projekte auf die Interessen der Geldgebenden ausgerichtet, um überhaupt finanzielle Unterstützung zu erhalten. Doch die meisten Menschen in Syrien brauchen ganz andere Formen der Unterstützung. Einige NGOs wurden wie Familienbetriebe geführt, in denen nur Familienmitglieder arbeiten durften. Außerdem gab es Konkurrenz untereinander. Doch aus diesen Fehlern können wir lernen.
Nun gibt es jedoch auch große, etablierte NGOs, auf die viele Syrer*innen stolz sind, zum Beispiel die Weißhelme. Ich wünsche mir, dass diese Erfahrungen und das gesammelte Wissen nicht nur im Exil oder in Nordsyrien angewendet werden, sondern im ganzen Land.
Viele Menschen vertrauen auf uns Syrer*innen und wir sind überzeugt, dass wir viel erreichen können. Denn wir können es wirklich!
PS: Danke und shukran, dass du dabei bist! Falls du neu dazu gekommen bist, fülle bitte diese kurze Umfrage aus.
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Eine kurze Zusammenfassung der Lage:
Mögliche Aufhebung humanitärer EU-Sanktionen
- Frankreichs Außenminister kündigte an, dass die EU-Sanktionen gegen Syrien, die humanitäre Aspekte betreffen, möglicherweise bald aufgehoben werden.Opfer durch Kriegsüberreste
- Zwischen Ende November 2024 und Anfang Januar 2025 starben 32 Zivilist*innen – darunter mehrere Kinder – durch explodierende Kriegsreste. Dutzende weitere wurden zum Teil schwer verletzt.Stromversorgung: Schiffe aus Katar und der Türkei
- Zwei schwimmende Kraftwerke (800 MW Leistung) könnten rund die Hälfte der derzeitigen Stromproduktion in Syrien ergänzen. Damit würde die Stromversorgung für die Bevölkerung um circa 50 % steigen.
- Jordanien signalisiert Bereitschaft, kurzfristig 250 MW Strom zu liefern, sofern die Leitungen in Syrien repariert werden.Militärisches Vorgehen Israels in al-Quneitra
- Die israelische Armee führte im Südwesten Syriens Gelände- und Zerstörungsarbeiten durch und erklärte Teile der Region zum „militärischen Sperrgebiet“.
- Einwohner*innen beklagen dahingehend die Untätigkeit der neuen syrischen Behörden und der internationalen Gemeinschaft.US-Abzug unter Präsident Trump?
- Die geopolitische Expertin Caroline Rose rechnet mit einem raschen und vollständigen Abzug der US-Truppen aus Syrien und dem Irak.
- Dies könnte türkische Offensiven gegen kurdische Einheiten (QSD) begünstigen.Ernährungssituation
- Syrien steht laut Welternährungsprogramm (WFP) weltweit an sechster Stelle bezüglich Ernährungsunsicherheit.
- Die Regierung hat den Preis für Brot erheblich angehoben, was die Bevölkerung stark belastet.
- Offizielle Stellen betonen, der Staat übernehme weiterhin einen Teil der Produktionskosten und peile bis 2026 eine Eigenversorgung mit Weizen an.
Neue US-Lizenz (OFAC) für Transaktionen in Syrien
- Das US-Finanzministerium lockert bestimmte Sanktionen und erlaubt zeitlich befristet Transaktionen mit staatlichen Institutionen und im Energiesektor.
- Die Grundfunktionen (Strom, Wasser etc.) sollen damit unterstützt werden, ohne die Sanktionen gegen sanktionierte Personen aufzuheben.Aussagen zum Verbleib syrischer Geflüchteter in Deutschland
- Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) hält die Aufnahme einer Arbeit für den wichtigsten Faktor, um dauerhaft in Deutschland zu bleiben.
- Die CDU/CSU hält dagegen, dass Erwerbstätigkeit allein nicht genüge, sondern ein ausreichendes Einkommen im Alter nötig sei.Stromprojekte und Leitungsreparaturen
- Die syrische Seite muss beschädigte Leitungen instand setzen, um Strom aus Jordanien beziehen zu können.
- Parallel arbeiten syrische Behörden an der Integration der aus Katar und der Türkei gelieferten Stromerzeugungsschiffe.US-Gesandter und Kurdischer Nationalrat
- Bei einem Treffen wurde die Notwendigkeit hervorgehoben, dass kurdische Parteien geschlossen gegenüber Damaskus auftreten.
- Die US-Seite bekräftigte ihre Unterstützung für die Rechte der Kurd*innen und einen demokratischen Staatsaufbau.Gespräche mit kurdischen Truppen
- Laut der türkischsprachigen Tageszeitung „Hürriyet“ lehnte Damaskus sowohl den Wunsch der QSD nach einem eigenständigen Korps in der neuen syrischen Armee als auch eine 50:50-Aufteilung der Öleinnahmen ab.Weitere Details zur US-Lizenz
- Transaktionen mit militärischen oder nachrichtendienstlichen Stellen bleiben ausgeschlossen.
- Ein- und Ausfuhren von Energie und private Überweisungen sind unter bestimmten Bedingungen vorübergehend erlaubt.Geplantes Treffen Blinkens in Rom
- US-Außenminister Antony Blinken beabsichtigt, sich mit europäischen Amtskolleg*innen zu Syrien-Fragen zu beraten. Dabei soll es um einen friedlichen politischen Übergang und die Stärkung der Stabilität nach dem Sturz des Assad-Regimes gehen.Türkische Drohung gegen die YPG
- Außenminister Hakan Fidan kündigte an, notfalls militärisch in Nordostsyrien gegen die kurdische YPG- Miliz vorzugehen, sollten türkische Forderungen nicht erfüllt werden.Abschiebungen aus dem Libanon
- Bislang wurden 471 Personen an die syrischen Behörden übergeben. Insgesamt sitzen 2.297 syrische Staatsbürger*innen in libanesischen Gefängnissen.
- Der libanesische Innenminister erklärt, dass kein gesuchter syrischer Flüchtling im Libanon „versteckt“ werde und bisher keine Rückführungsanträge aus Syrien eingegangen seien.
Neue syrische Regierung kündigt Rechtsverfahren gegen Kriegsberichterstattende an
Der syrische Informationsminister der geschäftsführenden Regierung, Mohammed al-Umr, hat angekündigt, dass jene Kriegsberichterstattende, die gemeinsam mit dem gestürzten Assad-Regime Verbrechen begangen und Blutvergießen unter der Zivilbevölkerung verursacht haben, den zuständigen Justizbehörden übergeben werden.
In einer Presseerklärung betonte Al-Umr, dass die Kriegsberichterstattenden des abgesetzten Regimes vor Gericht gestellt und gemäß der Grundsätze der Übergangsjustiz behandelt würden. Damit komme die Regierung den Forderungen der Bevölkerung nach Gerechtigkeit nach.
Medienlandschaft im Wandel
Darüber hinaus arbeite sein Ministerium derzeit an klaren Standards, die einerseits die Pressefreiheit gewährleisten und andererseits den Werten des neuen Syriens entsprechen. Al-Umr hob hervor, dass die Medien während der Herrschaft des früheren Regimes fest in den Händen der Geheimdienste gewesen seien und der Einfluss dieser Strukturen nun überwunden werden müsse.
Al-Umr stellte klar, dass die syrischen Medien heute frei seien und die Hoffnungen sowie Forderungen der Menschen wahrheitsgetreu widerspiegeln. Sie seien dabei ihren Werten und Prinzipien fest verpflichtet. Er wies außerdem darauf hin, dass die Syrische Nachrichtenagentur (SANA) wieder reaktiviert worden sei und nun als verlässliche Quelle für offizielle Nachrichten diene.
Zugleich arbeite das Ministerium an einem umfassenden Mechanismus, um in naher Zukunft offizielle Regierungssprecherinnen zu ernennen, die die Kommunikation mit den Medien erleichtern sollen. Journalistinnen, die sich vom früheren Regime losgesagt hätten, sollen eine zentrale Rolle beim Aufbau der neuen syrischen Medienlandschaft spielen.
Bereits am 14. Dezember hatte das syrische Informationsministerium der geschäftsführenden Regierung über seine offiziellen Kanäle hervorgehoben, dass alle Kriegsberichterstattende, die an der kriminellen Kriegsführung des gestürzten Regimes gegen das syrische Volk beteiligt waren, einem fairen Gerichtsverfahren unterzogen werden sollen.
Reporter ohne Grenzen fordert Gerechtigkeit
Nach dem Sturz des syrischen Regimes erklärte Reporter ohne Grenzen (ROG): „Assad und seine Verbündeten haben mehr als 181 Journalistinnen und Journalisten aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit getötet. Am Tag des Sturzes des Regimes durch die Hayat Tahrir ash-Sham am 9. Dezember 2024 saßen mindestens 23 Journalistinnen und Journalisten in den Gefängnissen des Landes ein, während 10 als vermisst galten, von denen 7 Opfer erzwungenen Verschwindens waren.
Reporter ohne Grenzen begrüßt zwar das Ende eines der repressivsten Regime in der jüngeren Geschichte, das Syrien auf Platz 179 von insgesamt 180 Ländern im weltweiten Pressefreiheitsindex geführt hat. Gleichzeitig fordert die Organisation, dass den Journalist*innen, die getötet, verletzt, inhaftiert oder vermisst wurden, Gerechtigkeit widerfährt. Die Verantwortlichen, die künftig die Geschicke Syriens leiten, müssten sicherstellen, dass eine neue Ära der Pressefreiheit eingeläutet wird.
ROG wies außerdem darauf hin, dass die Streitkräfte des früheren syrischen Regimes Anfang Dezember – wenige Tage vor dem Sturz Baschar al-Assads und seiner Flucht – versucht hätten, das Vorrücken von Oppositionsgruppen aus Idlib auf die Hauptstadt zu stoppen. Dabei seien zwei Journalisten getötet worden, die gerade die Kämpfe dokumentierten: Mustafa al-Kurdi, der für das Online-Magazin „Fox Halab“ und als Korrespondent der türkischen Radio- und Fernsehanstalt (TRT) in Aleppo arbeitete, sowie Anas al-Kharboutli, Fotograf der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Mit diesen Vorgängen zeichnet sich ein tiefgreifender Wandel der syrischen Medienlandschaft ab: Während die Übergangsregierung Gerechtigkeit für im Auftrag des alten Regimes begangene Medienverbrechen anstrebt, fordern internationale Organisationen wie Reporter ohne Grenzen, die neue Regierung müsse nun die Chance nutzen, eine echte Pressefreiheit zu garantieren und so einen Neubeginn für den Journalismus in Syrien zu ermöglichen.
Der Grundstein für Syriens ZukunftDer syrische Außenminister Asad al-Schaibani verkündete am Dienstag, dass die neue Regierung an der Bildung eines breit angelegten Vorbereitungskomitees arbeite, das die verschiedenen Teile der Bevölkerung repräsentieren soll. Dieses Komitee soll eine nationale Dialogkonferenz vorbereiten, die nach seinen Worten den „Grundstein“ für die Zukunft des Landes nach dem Sturz von Baschar al-Assad legen werde.
Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Amman mit seinem jordanischen Amtskollegen Aiman as-Safadi erklärte al-Schaibani auf die Frage nach dem Termin für den nationalen Dialog, den die neue Führung bereits angekündigt habe: „Wir haben mit der Konferenz ein wenig gewartet, obwohl sie bereits Anfang Januar hätte stattfinden können.“
Weiter führte er aus: „Wir haben uns entschieden, ein breit angelegtes Vorbereitungskomitee zu bilden, dem Damen und Herren angehören, (...) das die umfassende Repräsentation des syrischen Volkes gewährleisten kann.“ Dieses Komitee solle „Vertreter aller Gesellschaftsschichten und Provinzen Syriens“ einschließen.
„Syrien ist geeint“
Al-Schaibani betonte: „Wir sind in Syrien ein vielfältiges Land. Diese Vielfalt können wir entweder als Chance und Kraftquelle begreifen oder als Problem betrachten. Wenn wir sie als Chance sehen, dann können wir von allen profitieren, um das künftige Syrien aufzubauen.“
Er fügte hinzu: „Wir werden Syrien nur als ein vereintes Land betrachten, mit all seinen Bürgerinnen und Bürgern, seinen verschiedenen Gruppen und seiner Vielfalt. Wir werden nicht erfolgreich sein, wenn wir diesen Weg nicht einschlagen.“
Einen konkreten Zeitpunkt für die Bildung des Komitees oder den Termin der Konferenz nannte al-Schaibani nicht. Er sagte lediglich: „Wir wollen, dass diese Konferenz den Willen des syrischen Volkes widerspiegelt. Wir betrachten sie als Grundstein für das zukünftige Syrien. Sie wird befähigt sein und die Zuständigkeit besitzen, die politische Identität des syrischen Volkes zu gestalten."