Dieses 2017 erschienene Buch mit der Taschenbuchausgabe von 2022 hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt, sondern ist heute dringlicher denn je: ein Aufruf zum Frieden. Die Autorin, Professorin für Ökologie und Botanik an der Universität Bir Zeit, ist eine palästinensische christliche Friedens-„Arbeiterin“. Manche mag es überraschen, dass es in Palästina Christ*innen gibt, auch wenn sie nur eine Minderheit sind. Ihre Familie lebt seit Jahrhunderten im Land. Sumaya Farhat-Naser beschreibt in Ich-Form den Alltag der Palästinenser, beginnend mit den 70er-Jahren und 2012 endend.
Eindringlich und lebendig schreibt sie über die palästinensische Landschaft
Die Autorin wurde 1948, als Israel gegründet wurde, geboren und hatte das Glück an die deutsche Schule Talitha Kumi gehen, von wo sie durch Vermittlung deutscher Lehrkräfte nach Hamburg zum Studium ausreisen durfte. Sie war das erste Mädchen ihres Dorfes, das im Ausland studierte und zudem mit erfolgreichem Staatsexamen für das höhere Lehramt abschloss. Sie heiratete Munîr, der in Amsterdam studiert hatte und Dozent für Biochemie am Bir Zeit College war. Beide arbeiten an der Universität von Bir Zeit, die von einer Tante Munîrs gegründet worden war. Alle Dozenten hatten im Ausland studiert und waren voller Tatendrang und mit Ideen, ihre Erfahrungen umzusetzen, zurückgekehrt.
Eindringlich und lebendig schreibt sie über die palästinensische Landschaft, den Duft von Thymian, Oregano, Pfefferminz, Salbei und Zitronen und das kulturelle Symbol der Olivenbäume, das harte Leben der Frauen, aber auch das Zusammengehörigkeitsgefühl, welches wiederum durch geschickt von den Israelis angeworbene Kollaborateure untergraben werden soll.
Demütigungen durch die Besatzungsmacht Israel sind alltäglich: langwierige Verfahren für eine Einreise/Ausreise-Genehmigung mit ihrer kafkaesken Bürokratie an den Checkpoints, die Razzien und Zerstörungen von Häusern und Land. Diese Demütigungen breitet sie wie einen Fächer aus, der jedoch keine kühlende Luft mit sich bringt, sondern den Verlust an Würde, Angst und Gefühl der Erniedrigung und des Ausgeliefertseins aufzeigt.
Was kann man tun, wenn die Staatsmacht das eigene Land konfisziert, Jahrhunderte alte Olivenbäume entwurzelt und zerstört, den Zugang zu den Quellen kontrolliert, denn seit 1967 hat Israel die direkte Kontrolle über die Nutzung und Verteilung des Wassers – ein Großteil für die Israelis, die kümmerlichen Resttropfen für die Palästinenser und ihr Ackerland. Wenn das Land in drei Zonen aufgeteilt wie einen Flickenteppich, fast 80 % vom Militär kontrolliert bzw. verwaltet wird.
Wenn man zur Ausreise nicht den Flughafen von Tel Aviv benutzen darf, sondern mühsam und zeitaufwendig über Jordanien reisen muss. Wenn das sogenannte Niederlassungsrecht das Recht nimmt, auf eigenem Grund und Boden zu leben, wenn man z. B. durch Arbeit oder Studium nicht durchgehend sieben Jahre lang dort lebte. Wenn selbst Kranke an den Checkpoints oft abgewiesen werden.
Wenn es getrennte Straßen für die Siedler und die Einheimischen gibt, die, um von A nach B zu kommen, oft stundenlange Umwege einplanen oder über Stock und Stein holpern müssen, weil wieder mal ein fliegender Checkpoint die Durchfahrt verhindert.
Wenn die israelische Sperrmauer den Ort teilt, sodass einige Familien eingeschlossen sind und das Tor nur stundenweise geöffnet wird. Wenn Kinder oft stundenlang warten müssen, um zur Schule zu kommen und viele Kinder deshalb nicht mehr zur Schule gehen. Wenn Siedler einen vom Land vertreiben …
Sie beschreibt eine fast komische Anekdote: Sie selbst musste zu einer wichtigen Verabredung nach Jerusalem, alle entsprechenden Papiere lagen vor, aber der Körperdetektor meldete Alarm wegen ihres künstlichen Kniegelenks. Sie durfte nicht passieren, denn ihr Knie bräuchte eine eigene Identitätskarte und eine spezielle Erlaubnis für Jerusalem. Schildbürger in Aktion?
Was ist Frieden?
Farhat-Naser setzt ihre Kraft ein, in Seminaren und Workshops Jugendlichen, Studierenden und Frauen den Umgang mit Provokation, Wut, Angst und Ohnmacht sowie der Selbsterziehung zum eigenen Schutz zu vermitteln. Seit 1988 erstes informelles Treffen von sechs palästinensischen und sechs israelischen Frauen, 1994 Gründung von zwei Frauenzentren in Ost- und West-Jerusalem. Immer wieder die Erfahrung, wie schwierig es ist, die Mauer von Angst und Misstrauen abzubauen. Es sind zwei traumatisierte Völker: Das eine Volk fand eine Heimstatt, das andere verlor sie.
Was ist Frieden? Die Akzeptanz von Unterdrückung und Besatzung?
Die Aufzeichnungen sind sehr persönlich, es ist eben kein Sachbuch aus wissenschaftlicher Distanz. Und immer wieder hoffnungsdurchsetzt, denn die Hoffnung stirbt zuletzt. Es geht ihr darum, die Mauern einzureißen, auch die des Täter-Opfer-Mythos.
Vielleicht sollten sich die Leserinnen und Leser auch den Film „No other land“, der auf der Berlinale den Dokumentarfilmpreis erhielt, ansehen. Da erlebt der Zuschauer die alltägliche Zerstörungskraft auf palästinensischem Land, wie die Bulldozer Häuser einreißen und Olivenhaine zertrümmern.
Sumaya Farhat-Nasers Botschaft geht unter in den marktschreierischen Topics, ist nur ein zartes Flüstern und lässt doch hoffen. Denn sie ist nicht allein, denn es gibt viele Initiativen für den Frieden und das Miteinander im Heiligen Land.