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3 Min. Lesezeit Persönliche Geschichten

Ein Brief an die AfD-Wähler*innen

In diesem offenen Brief wendet sich Maryam an die AfD-Wähler*innen.

Ein Brief an die AfD-Wähler*innen
Fotograf*in: Aaron Burden auf unsplash

Liebe AfD-Wähler*innen,

ich teile eure Wut zutiefst. Auch ich bin wütend!

Nie hatte ich Angst davor, dass die AfD an die Macht kommen oder gar die Mehrheit der Deutschen gewinnen könnte. Vielmehr befürchte ich, dass sie ihre Narrative weiter verbreiten und junge Menschen auf Plattformen wie TikTok manipulieren, indem sie ein gemeinsames Feindbild gegen „Ausländer“ schüren. Was mich wirklich ängstigt, sind die Menschen, die solche Reden glauben und das Feindbild gegen „Ausländer“ unterstützen.

Liebe AfD-Wähler*innen: Ich bin dieses Feindbild. Besonders sorge ich mich um meine deutschsprachigen Brüder und Schwestern, die einen Hijab tragen oder einen Bart haben und nicht dem stereotypischen blond-blauäugigen Ideal entsprechen oder nicht das Privileg haben, als weiß wahrgenommen zu werden.

"Ich habe Angst um meine Freund*innen"

Auch mache ich mir Sorgen um die Eltern, die nicht eingebürgert sind. Selbst nach einer Einbürgerung bedeutet das nicht automatisch, dass man als deutsch akzeptiert wird. Um als deutsch wahrgenommen zu werden, muss man die Sprache auf C1-Niveau beherrschen, hier arbeiten, studieren und Steuern zahlen. Ich kenne Menschen, die all das haben, sogar einen deutschen Pass besitzen, aber dennoch nie als deutsch akzeptiert werden, und Leute wundern sich, warum sie so gut Deutsch sprechen können, obwohl sie hier geboren sind.

Ich habe Angst um meine Freund*innen, die zur Schule gehen, besonders um meine 12-jährige Schwester, die ein Kopftuch trägt. Sie alle werden laut deutschen Medien unterdrückt und ich mache mir Sorgen um mein eigenes Wohlbefinden. Ich frage mich, ob auch ich unterdrückt werde, nur weil ich an einen Gott glaube, der Allah heißt und keinen anderen Gott anerkenne. Diese Überzeugung betrachten viele Deutsche als zu islamistisch, zu religiös und das bereitet mir große Sorgen.

Einmal wurde mir sogar eine Arbeit verwehrt, angeblich, weil ich zu radikal bin und Menschen ausschließen könnte, ohne neutral zu sein, einfach weil ich fest an einen Gott glaube. Und ich mache mir Sorgen und fühle mit Menschen, die ähnliche Erfahrungen teilen und erleben.

"Ich sorge mich um sein von Hass erfülltes Herz"

Ich sorge mich um den Mann im Bus, der mich ansprach und sagte, ich solle aus seinem Land verschwinden. Ich sorge mich um sein von Hass erfülltes Herz. Und ich sorge mich um die anderen im Bus, die das sahen und nichts sagten. Ich mache mir Sorgen um Menschen, die die AfD wählen und glauben, dass sie das deutsche Land retten kann.

Aber was passiert, wenn die AfD an die Macht kommt und das deutsche Land nicht rettet? Werden sich die Menschen, die sie gewählt haben, dann bei uns „Ausländern“ entschuldigen? Ich habe Angst, wenn ich draußen bin und im Bus darüber nachdenken muss, ob die eine oder andere Person auch die AfD gewählt hat. Dennoch wünsche ich mir irgendwie auch, dass die AfD an die Macht kommt, denn ich bin fest davon überzeugt, dass sie das deutsche Land nicht retten kann. Ich frage mich, werden die Menschen dann endlich erkennen, was wir sehen?

Ich sorge mich um all die Kinder, die nicht Justus und Greta heißen, sondern Ahmad und Fateme. Ich mache mir Sorgen um die zukünftigen Generationen in diesem Land und frage mich, ob sich die Geschichte wiederholen wird. Ich mache mir Sorgen um die Generationen vor uns, die gekämpft haben und ihr Leben an Fronten gegeben haben. Sehen ihre Seelen uns mit Bedauern an?

Manchmal denke ich auch über die Känäks nach, die selbst die AfD wählen, und frage mich, was sie sich davon erhoffen und was passiert, wenn ihre Wünsche nicht von der AfD erfüllt werden? Ich mache mir Sorgen um Politiker*innen, die sich jetzt fragen, wie es sein kann, dass so viele Jugendliche die AfD wählen, ohne zu bedenken, dass sie selbst versagt haben und ihre Versprechungen nicht eingehalten haben, was dazu führte, dass die AfD gestärkt wurde.

"Diese Wut in mir macht mir auch Angst"

In mir kocht Wut, wenn ich darüber nachdenke, wie leicht manche Menschen zu manipulieren sind. Wie einfach es ist, Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Wie schnell Hass geschürt werden kann.

Diese Wut in mir macht mir auch Angst. Sie zeigt mir, wie stark Emotionen sein können und wie sie mein Denken und Handeln beeinflussen. Gleichzeitig fürchte ich, dass diese Wut mich überwältigen könnte, dass sie mich zu Dingen treiben könnte, die ich nicht tun möchte. Es ist eine ständige Herausforderung, diese Emotionen zu kontrollieren und konstruktiv mit ihnen umzugehen.

In solchen Momenten fühle ich mich oft machtlos. Es ist frustrierend zu sehen, wie die Kräfte der Spaltung und des Hasses so stark erscheinen, während wir einzelnen Menschen so wenig dagegen tun können. Es ist schwer, den Glauben an eine bessere Zukunft aufrechtzuerhalten, wenn die Realität oft so düster wirkt.

Ich sitze hier auf meinem Bett und träume davon, in einem Land zu leben, wo ich nicht das Feindbild bin. Ein Ort, wo meine Identität, meine Überzeugungen und mein Glaube respektiert und akzeptiert werden. Ich sehne mich danach, wieder im Mutterleib meiner Mutter zu sein. Keine Sorgen, keine Ängste, nichts. Einfach nur die warme Umarmung der Geborgenheit, fernab von der kalten Realität und den schweren Lasten des Lebens draußen. Es ist ein düsterer Gedanke, dass selbst der Beginn des Lebens im Vergleich zur Welt da draußen eine Oase der Sicherheit und des Friedens zu sein scheint.

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