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Dynamische Entwicklungen und neue Herausforderungen

Während sich die Lage in Syrien mit zunehmender Geschwindigkeit entwickelt, stellt sich die Frage nach der Reaktion von internationalen Akteuren, allen voran Russlands und der Türkei.

Dynamische Entwicklungen und neue Herausforderungen
Fotograf*in: Graphik: Amad Hamed

Die Situation in Syrien bleibt äußerst dynamisch und komplex. Es schalten sich zunehmend internationale Akteure ein. Der irakische Premierminister betonte kürzlich, dass der Irak reagieren müsse, jedoch unsicher sei, wie genau vorzugehen sei, weil niemand einen Überblick über die Ereignisse behalten könne.

Ich habe auch nicht daran geglaubt, mit welcher Geschwindigkeit die Rebellen sich bewegen (Rebellen, oder Jihadisten? Oder Milizen? Aufständische? Über die Frage der Begrifflichkeiten möchte ich in einer kommenden Folge dieses Newsletters schreiben).

Drei große Gouvernements in Syrien stehen nun unter ihrer Kontrolle: Idlib, Aleppo und Hama. Aktuelle Kämpfe sind rund um Homs, es gibt auch Berichte von Aufständen in den südlichen Städten Daraa und as-Suweida. Besonders bemerkenswert ist die kampflose Einnahme von Dörfern nördlich der Stadt Homs, es scheint als habe die syrische Armee die Region verlassen. Diese Ereignisse zeigen deutlich die präzise Organisation und Geheimhaltung der Operationen der Rebellen, die ihren raschen Vormarsch ermöglichen.

Die Rebellen stehen nur noch fünf Kilometer vor Homs, einer zentralen Stadt, die den Norden und Süden, Westen und Osten Syriens verbindet. Sollte Homs fallen, wird das Ende für Assad immer wahrscheinlicher und seine Pläne zur Bildung eines „guten Syrien“, bestehend aus den „nützlichen Teilstaaten“ Latakia, Tartus, Homs und Damaskus zunichtemachen. Der Assad-freundliche Radiosender Scham FM berichtet, die Rebellen seien bei ihrer Ankunft in den Orten nördlich von Homs nicht auf Widerstand gestoßen. Aber die Region Homs grenzt an den Libanon. Daher steht die wichtige Frage im Raum, ob die libanesische Hisbollah Assad weiterhin unterstützt und sich stärker in den Konflikt einmischen will.

Aus Daraa, dem Geburtsort der syrischen Revolution in 2011, gibt es Berichte über erneute Angriffe auf die syrische Armee. Bedeutet dies das Ende eines Deals zwischen Russland, den USA, Israel und Jordanien, der Assad Kontrolle über den Süden Syriens einräumte? Gleichzeitig fanden in as-Suwaida, die Hauptstadt des Gouvernements as-Suwaida im Südwesten und Siedlungszentrum der syrischen Drusen, große Demonstrationen gegen Assad statt. Die Drusen äußern anscheinend ihre Unterstützung für die Operationen gegen das Assad Regime.

Was wird dieses Wochenende passieren? Wir bleiben dran und halten dich mit diesem Newsletter auf dem Laufenden. Dabei interessiert mich auch deine Meinung zu den Entwicklungen und der Berichterstattung in Syrien sehr. Wenn du noch nicht dazu gekommen bist, fülle bitte diese kurze Umfrage aus.

Danke für deine Unterstützung!


Welche Rolle spielt die Türkei?

Das türkische Außenministerium erklärte, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan den schnellen Fortschritt der syrischen Oppositionsfraktionen begrüße, deren Ziel Damaskus sei. Erdoğan erhielt bisher keine Antwort von Baschar al-Assad auf eine Einladung zu einem Treffen, was wahrscheinlich zu dieser Aussage von Erdoğan geführt hat. Zur Erinnerung: Assad fordert seit Längerem Garantien für einen türkischen Rückzug aus den besetzten Gebieten im Norden Syriens.

Erdoğan betonte außerdem die Notwendigkeit einer ruhigen neuen Phase in Syrien und forderte Assad zu einer politischen Lösung auf. In einem Gespräch mit UN-Generalsekretär António Guterres appellierte er an das syrische Regime, mit der Bevölkerung zusammenzuarbeiten, um eine umfassende politische Lösung zu erreichen. Beobachterinnen betonen, dass Erdoğan an einer Stabilisierung der Lage in Syrien interessiert ist, da somit mehr Syrerinnen aus der Türkei zurück nach Syrien kehren könnten.

Einen Abzug aus den besetzten Gebieten lehnt die Türkei bisher ab und bezeichnet das Gebiet als „Sicherheitszone“, die sie mit der von ihr unterstützten „Syrischen Nationalen Armee“ (SNA) kontrolliert. Neben der Rückkehr von syrischen Geflüchteten ist ein Hauptziel der Erdoğan Regierung, die Destabilisierung der kurdischen Selbstverwaltung in Rojava, die von der PYD (einer Schwesterpartei der PKK), geführt wird. Mehr dazu in einer kommenden Folge.

Außenminister Hakan Fidan wird nicht an den Astana-Gesprächen teilnehmen, sondern nur am Doha-Forum, was auf ein mögliches Treffen der Außenminister von Türkei, Iran und Russland am Rande der Gespräche am 7. und 8. Dezember hindeutet.

Was macht der Iran?

Ein hochrangiger iranischer Beamter gab heute (Freitag) bekannt, dass der Iran beschlossen habe, seine militärische Präsenz in Syrien zu verstärken, um Assad zu unterstützen. Wie Reuters berichtete, fügte er hinzu, dass Teheran beabsichtige, Raketen und Drohnen nach Syrien zu schicken und die Zahl seiner militärischen Berater vor Ort zu erhöhen.

Der Beamte, der aber anonym bleiben wollte, erklärte weiter, dass die Entscheidung gefallen sei, die Luftangriffe Syriens und Russlands zu intensivieren, was in den letzten Stunden bereits geschehen sei. Abschließend erklärte er, dass der Iran alle notwendigen Maßnahmen ergriffen habe, um die Zahl seiner militärischen Berater in Syrien zu erhöhen und Streitkräfte vor Ort zu stationieren.

Was davon wirklich in die Tat umgesetzt werden wird, ist noch unklar. Beobachter*innen bemerken, dass der Iran durch die letzten Monate Proxy-Konflikt mit Israel stark geschwächt ist.

Wie reagiert Russland?

Syrien ist historisch gesehen ein wichtiger Ort für Russland – wegen der Beziehungen zwischen Syrien und der Sowjetunion, aber auch weil Syrien der letzte Ort ist, an dem Russland noch Einfluss in den warmen Gewässern des Mittelmeers hat. So kam die russische Luftwaffe Mitte 2015 zur Rettung des Assad Regimes – wir erinnern uns an die letzten Kämpfe um Aleppo.

Doch es scheint, dass Russland seinen Einfluss in Syrien verlieren könnte. Unbestätigte Berichten zufolge hat Russland mehrere Militärschiffe und militärischen Ressourcen aus Syrien abgezogen. Zudem forderte die russische Botschaft in Damaskus am Freitag, dem 6. Dezember, russische Staatsbürger auf, Syrien umgehend zu verlassen. Die Botschaft betonte jedoch, dass die russische Botschaft und ihre Konsularabteilung in Damaskus weiterhin wie gewohnt arbeiten werden. Kann das russische Militär dem syrischen nicht helfen, da der Angriffskrieg in der Ukraine alle Ressourcen in Anspruch nehmen? Oder will Russland Assad fallen lassen?

Der russische Außenminister soll sich ebenfalls am 7. und 8. Dezember am Doha-Forum beteiligen.

Vereinbarungen mit MinderheitengruppenEs kommen immer weitere Meldungen darüber, dass die Rebellen unter Anführung der Hayat Tahrir Al-Sham (HTS) Vereinbarungen mit lokalen Akteuren treffen, die Minderheiten wie Christ*innen und Ismailit*innen schützen sollen. Die Verwaltung der Städte Aleppo und Hama sollen von zivilen Gruppen übernommen werden. Die Bemühungen zielen wohl darauf ab, die Sorgen der Alawiten und anderen Gruppen zu beruhigen. Und es gibt das Gerücht, dass Erzbischof Hanna Jallouf neuer Gouverneur von Aleppo nach der Befreiung wird.t

Diese Information ist nicht gesichert, könnte aber symbolisch für die Zukunft von Syrien sein. Stefan Schneck, der deutsche Syriengesandte, berichte von Gesprächen mit alawitischen Führern über Dialog und friedliches Zusammenleben ohne Vergeltung. Er betonte, dass jetzt die Zeit für Frieden und Dialog sei – nicht für Sieger und Besiegte.

Wer kontrolliert Aleppo?Die „Freie Verwaltung von Aleppo“ veröffentlichte Bilder von Dutzenden Überläufern des syrischen Regimes, die vorübergehende Ausweise beantragten, um ihren Status zu regularisieren. Genaue Zahlen der Antragsteller wurden nicht genannt. Gleichzeitig rief die „Militäroperationsverwaltung“ erneut Regimeangehörige zur Desertion auf und versprach Schutz und Sicherheit für Überläufer. Polizisten und Offiziere in Hama wurden aufgefordert, in ihren Einheiten zu bleiben, Eigentum zu bewahren und auf Vertreter des Innenministeriums der „Rettungsregierung“ zu warten, um ihre Angelegenheiten zu regeln.

Diese Maßnahmen sind Teil der Politik, die nach der Übernahme mehrerer Städte durch die „Operation zur Abwehr von Aggressionen“ eingeführt wurde. Nach der Kontrolle über ländliche Gebiete im Westen Aleppos wurden Zivilist*innen daran gehindert, in ihre Dörfer zurückzukehren, bis diese von Minen und Kriegsüberresten gesäubert sind.

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