Auch in ihrem vorherigen Roman, Vater und ich, der 2021 auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, setzte sich Güngör mit den familiären Dynamiken und den Beziehungen migrantischer Kinder zu ihren Eltern auseinander. Ich habe mit ihr über ihr Schreiben, die Frage der Identität und ihren Werdegang von der Journalistin zur Autorin gesprochen.
Dein neues Buch „A wie Ada“ erzählt in kurzen Episoden von den Erfahrungen der Protagonistin von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter. Was hat Dich zu dieser Erzählform inspiriert?
Mit der kurzen Form habe ich angefangen zu schreiben, ich hatte vor 20 Jahren eine kleine Kolumne in der „Berliner Zeitung“, 37 Zeilen lang. Mir macht es Spaß, dicht zu schreiben, ich versuche, viel auf wenig Platz zu sagen.
In „Vater und ich“ beschreibst Du die Beziehung zwischen einer Tochter und ihrem Vater, der als sogenannter Gastarbeiter nach Deutschland kam. Wie viel Deiner eigenen Familiengeschichte steckt in diesem Werk, und wie findest Du die Balance zwischen Fiktion und autobiografischen Elementen?
In „Vater und ich“ steckt sehr viel von dem, was ich selbst gelebt und gefühlt habe. Ich schreibe fast ausschließlich von Dingen, die durch mich hindurch gegangen sind, von Dingen, die ich sehr gut kenne und die ich spüren kann. Alles andere empfinde ich als lästige Arbeit. Mittlerweile mache ich mir um die Balance zwischen „echt“ und „ausgedacht“ keine Gedanken mehr, anfangs war es mir unangenehm, aus meinem Leben zu erzählen, weil ich dachte, das gilt nicht als Literatur. Inzwischen kümmert mich das nicht mehr.
Familienbeziehungen spielen in Deinen Büchern eine zentrale Rolle. Wie prägen sie die Entwicklung Deiner Figuren, und was fasziniert Dich am Zusammenspiel von Nähe und Konflikt innerhalb der Familie?
Ich würde mich gar nicht als Familienmensch bezeichnen, meist fühle ich mich als Einzelne inmitten anderer. Trotzdem interessiert mich die Beziehung zwischen Menschen sehr, ich versuche, herausfinden, wie das funktioniert: Geborgenheit und Zugehörigkeit, Solidarität und Nähe, sich aushalten können und miteinander schweigen, Vertrauen. Manchmal überwältigt mich das.
Dein Werdegang – von der Ausbildung als Übersetzerin über das Journalistik-Studium bis hin zur Schriftstellerin – ist bemerkenswert vielseitig. Wie haben diese Erfahrungen Deine Perspektiven und Themenwahl in der Literatur geprägt?
Zum Schreiben bin ich erst spät gekommen, mit „Das Geheimnis meiner türkischen Großmutter“ habe ich mit 31 Jahren angefangen. Ich habe nie gedacht, ich will Schriftstellerin werden. Bis ich mit meinem journalistischen Aufbaustudium angefangen habe, dachte ich, ich werde Übersetzerin. Vieles in meinem Leben war Zufall, auch der Journalismus, der Umzug nach Berlin. Aber ich probiere gerne aus und sage meistens oft „ja“, wenn sie eine interessante Gelegenheit bietet. Ich habe keine Angst, neu anzufangen. Meine Themenwahl ist – zu meiner eigenen Überraschung – relativ eng, es ist von Anfang an der Vater, die Familie gewesen und jetzt mit „Ada“ ist sie sogar noch enger geworden. Für „Ada“ bin ich ganz in mich hineingekrochen.
Migration und Identität sind zentrale Themen in Deinen Büchern. Wie hat Deine eigene Erfahrung als Tochter türkischer Migrant*innen Dein Schreiben und Deine Figuren beeinflusst, besonders im Hinblick auf den Dialog zwischen den Generationen?
Das Fehlen von Eindeutigkeit, die Möglichkeit, dass auch etwas ganz Anderes richtig sein kann, ist das, was ich aus meiner Zweisprachigkeit gezogen habe. Auch, dass es im Hintergrund immer noch ein anderes Land, eine Familie gab, dass ich ein ganz anderes Leben gelebt hätte, wenn meine Eltern nicht nach Deutschland gezogen wären. Das ist das, was mich am Zugewandertsein am meisten geprägt hat. Das Fremdsein in einer Umgebung, die sich doch eigentlich so vertraut anfühlt und die vermeintliche Zugehörigkeit an einen Ort, an eine Kultur, die dann überraschenderweise doch nicht so vertraut ist. Ich sehe die Spanne zwischen der Kindheit meiner Eltern, meiner Kindheit und der meiner Kinder wiederum. Und obwohl vieles jeweils ganz anders ist als bei den Eltern, sind wir alle Menschen mit ähnlichen Sehnsüchten und Bedürfnissen und Ängsten – egal welcher Generation wir angehören.
Könntest Du zwei oder drei literarische oder non-fiction Werke nennen, die Dein Schreiben und Deinen Werdegang als Autorin geprägt haben?
Non-Fiction fällt mir wirklich nichts ein.
Bevor und während ich „Ich bin Özlem“ schrieb, habe ich aber sehr viel in „The Chronology of Water“ (deutsch: In Wasser geschrieben) von Lidia Yuknavitch gelesen. Und fast jeden Tag, bevor ich angefangen habe zu schreiben, mir das Video von Brené Browns TED-Talk „The Power of Vulnerability“ angesehen.