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Die Macht der Räume: Die eigene Stimme finden

Welche Kraft haben Räume? Was bedeutet „Zuhause“? In unserer 10. Printausgabe „Habe ich Platz?“ Beschäftigen wir uns mit solchen Fragen. Hier sind zwei Beiträge zum Thema von Nima und Angela aus unserer kommunity.

Die Macht der Räume: Die eigene Stimme finden

Die Macht der Räume

Im Herzen der geschäftigen Stadt kommt man nicht umhin, sich zu fragen: Welche Kraft haben Räume? Wer hat Platz in unseren Städten? Diese Fragen sind mir schon oft durch den Kopf gegangen, während ich mein Leben in einem neuen Land navigiere. Mit siebzehn bin ich mit meiner Familie aus dem Irak nach Deutschland gekommen, unsere Reise war sowohl von Hoffnung als auch von Not geprägt. Ich bin nicht irgendein Teenager; ich bin Schriftstellerin und Dichterin, und dies ist meine Geschichte, wie ich inmitten unbekannter Räume meinen Platz gefunden habe.

Als ich in Deutschland ankam, lastete die Abwesenheit meines Vaters schwer auf mir. Politische Probleme zwangen ihn, zurückzubleiben und ließen meine Mutter, meine jüngeren Geschwister und mich dieses neue Kapitel allein antreten. Das Gewicht dieser Trennung fühlte sich manchmal überwältigend an, aber es wurde auch zu einer Quelle der Entschlossenheit. Ich wusste, dass meine Worte die Kraft dazu hatten, die Kluft zwischen uns zu überbrücken, um die Liebe und Sehnsucht auszudrücken, die über Grenzen hinausreicht.

In diesem Land der Möglichkeiten fand ich Trost im geschriebenen Wort. Als ich das erste Mal in meinem neuen Zimmer einen Stift in die Hand nahm, spürte ich, wie sich die Wände um mich herum in eine Leinwand verwandelten, die nur darauf wartete, mit den Farben meiner Erfahrungen bemalt zu werden. Jeder Strich Tinte auf Papier wurde eine Verbindung zu meiner Vergangenheit, eine Brücke zu meiner Familie und ein Versprechen auf eine bessere Zukunft.

Während ich mich an eine neue Kultur, Sprache und Schule gewöhnte, entdeckte ich die einzigartige Kraft der Räume. Parks, Bibliotheken und Cafés wurden zu meinen Zufluchtsorten, Orte, an denen ich mich in Büchern verlieren konnte, an denen ich die Inspiration zum Schreiben von Gedichten, die meine Gefühle widerspiegeln, finden konnte und wo ich Verbindungen zu Menschen aufbauen konnte, die meine Liebe zur Literatur teilten.

Doch dabei ging es mir nicht nur darum, meinen eigenen Raum zu finden; es ging auch darum, die Dynamik der Stadt zu verstehen, die ich jetzt mein Zuhause nannte. Wer hat diese Räume sonst noch mit mir geteilt? Welche Geschichten trugen sie mit sich? Diese Fragen führten mich dazu, die vielfältigen Gemeinden in meiner neuen Stadt zu erkunden, jede mit ihren eigenen Kämpfen und Triumphen.

Durch Interviews und Gespräche vertiefte ich mich in die Erzählungen von Geflüchteten, Einwanderern und Einheimischen; entdeckte, wie ihr Leben mit den Räumen verknüpft ist, die sie bewohnen.

Als Schriftstellerin und Dichterin freue ich mich nun darauf, mich auf eine Reise zu begeben, um diese Geschichten mit dir zu teilen. Ich habe erkannt, dass die Kraft von Räumen nicht nur in ihrer Physis liegt, sondern in den Verbindungen, Erinnerungen und Erfahrungen, die sie enthalten. Ich hoffe, mit meinen Artikeln und Gedichten die Essenz dieser Räume einzufangen und die der Menschen, die sie zum Leben erwecken.

Wenn ich auf meine eigene Reise vom Irak nach Deutschland zurückblicke, wird mir klar, dass es nicht nur physische Räume gibt; es gibt auch die Räume, die wir in unseren Herzen schaffen und in denen unsere Geschichten ihr wahres Zuhause finden.

Nima

Wo bin ich zu Hause?

Ich fühle mich zu Hause, wenn ich Dinge tue, die mich glücklich machen, oder wenn ich von Menschen umgeben bin, die ich liebe. Und außerdem fühle ich mich zu Hause, wenn ich an einem Ort bin, den ich so gestalte, dass er mir ein gutes Gefühl gibt. Wenn ich mein Zimmer streiche, Küchenutensilien oder wenn ich ein Sofa kaufe. Oder wenn ich mich entscheide, im Bett zu bleiben, weil ich es einfach will.

Meine Heimat ist Venezuela. Da habe ich bei meinen Großeltern gewohnt, mit Tanten und Cousins und meinem Vater. Ja, es war eine große Familie in einem Farmhaus. Es war immer heiß. Jeden Tag, wenn ich nach Hause kam, haben mich meine beiden Hunde Cruela und Lily begrüßt und im Garten hatte ich eine Schildkröte und Hühner, Mangos und Orangen. Zu Hause hieß für mich, mit meiner Familie zusammen zu essen oder jeden Sonntag einen Spaziergang mit meinem Opa zu machen oder zu Weihnachten mit meiner Oma „Hallacas“ zu kochen.

Weil aber „Zuhause“ für mich ein Ort ist, an dem ich mich glücklich fühlen kann und – was am wichtigsten ist –, den ich selbst bauen kann, hatte ich den Wunsch, an einem neuen Ort zu leben. Also habe ich beschlossen, in Deutschland ein neues Zuhause zu bauen. Ich habe Venezuela verlassen, bin allein als Au-pair nach Deutschland gekommen, und habe wieder von vorne angefangen.

Ich musste hart arbeiten, um mein neues Zuhause aufzubauen. In Venezuela habe Englisch gelernt und als Englischlehrerin gearbeitet. Ich wollte gerne studieren, aber das ist sehr teuer und wäre für mich nur in der Hauptstadt gegangen. Dort hätte ich mich nicht sicher gefühlt und ich hätte es nicht bezahlen können. Ich war nicht glücklich.

In Deutschland musste ich eine andere Sprache lernen. Ich musste lernen, was und wie man in Europa isst. In Venezuela essen wir nicht so viel Brot und wir halten das Messer links und die Gabel rechts, in Deutschland ist es andersherum. Ich musste mich an das Wetter gewöhnen, denn in Venezuela ist es immer nur warm oder es regnet. Ich musste auch Freunde finden. Und: Ich musste einen Ausbildungsplatz finden, um in Deutschland bleiben zu können.

Das habe ich geschafft. Ich habe ein neues Zuhause.

Angela Victoria Padron

Mehr zum Thema „Räume“ findest du in unserer Printausgabe #10 „Habe ich Platz?“

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