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3 Min. Lesezeit Persönliche Geschichten

Derya Uygurlar: Ich möchte starke Frauengeschichten schreiben

Derya Uygurlar ist Schauspielerin und hat im Rahmen des 14. Kurdischen Filmfestivals in Hamburg, eine Auszeichnung für ihren ersten Kurzfilm „Yavru Karınca“ (dt.: „Ameisenlarve“) erhalten, bei dem sie Regie führte. Im Porträt zeigen sich ihre Ambitionen als Filmschaffende und die Herausforderungen,

Derya Uygurlar: Ich möchte starke Frauengeschichten schreiben
Fotograf*in: Ege Islek

Derya Uygurlar ist 1991 in Siverek (Türkei) geboren und hat lange Zeit in Istanbul gelebt, bevor sie vor zwei Jahren nach Paris gezogen ist. Ihre Leidenschaft zum Schauspiel hat sie zunächst ins Theater geführt. Sie hat zwei Jahre im Staatstheater in Diyarbakır gespielt, wo sie auch ihre eigenen Werke auf der Bühne umgesetzt hat. Anschließend hat sie sich der Filmschauspielerei zugewandt. Mit dem Übergang zum Film kamen, wie sie beschreibt, sehr schöne Projekte auf sie zu, u.a. Filme von Bahman Ghobadi, Mano Khalil und viele internationale Produktionen, an denen sie mitgewirkt hat: „Die weiblichen Figuren, die ich gespielt habe, hatten Geschichten, die mir sowohl sehr nahe als auch sehr fern waren. Das Besondere am Schauspiel ist für mich die Reise, Frauen mit unterschiedlichen Geschichten zu entdecken“.

Als Kind war Derya bereits mit Ghobadis Filmen vertraut, vor allem der Film „Kaplumbağalar da uçar“ (dt. Schildkröten können fliegen) hat sie sehr beeindruckt und den Wunsch geweckt, eines Tages in seinen Filmen mitzuspielen. Heute, als Schauspielerin, hat sich dieser Traum verwirklicht. Darüber hinaus hat sie für ihre Rolle der starken und zugleich naiven Figur Hannah, in Khalils Film „Neighbours“ (dt. Nachbarn), der auf dem 13. Kurdischen Filmfest in Hamburg (2022) als Eröffnungsfilm präsentiert wurde, eine Auszeichnung in Marokko erhalten. Das Losgelöstsein von einem festen Ort beschreibt sie in diesem Zusammenhang als besonders positive Erfahrung: „Ich habe gemerkt, dass ich eine Schauspielerin an verschiedenen Orten sein konnte und das war wirklich eine schöne Zeit“.

„Ich möchte meine individuellen Erlebnisse aufschreiben, visualisieren und mit allen teilen“

2012 hat sie das Drehbuch für ihren ersten Kurzfilm „Yavru Karınca“ geschrieben. Es ist eine persönliche Geschichte über ihre Mutter, in der sich Derya mit ihrer eigenen Vulnerabilität auseinandergesetzt hat. Durch ihre künstlerische Tätigkeit verarbeitet sie selbst erlebte Traumata, wobei ihr insbesondere das Schreiben hilft, Ereignisse aufzuarbeiten: „Ich möchte meine individuellen Erlebnisse aufschreiben, visualisieren und mit allen teilen.“ Als alle Planungen für den Kurzfilm abgeschlossen waren, verstarb kurz darauf ihre Mutter an einem Herzinfarkt, weshalb sie das Projekt abgebrochen hat. Sowohl beruflich als auch emotional hat sie sich zunächst davon abgewendet, spürte jedoch beständig, dass sie etwas Unvollendetes hinter sich gelassen hat. Im weiteren Verlauf lernte sie beim Filmfestival in Malatya (2017) den Filmproduzenten (und heute Ehemann) Onur Yağız kennen, der seine Bereitschaft bekundet hat, die Produktion des Kurzfilms zu übernehmen. Schließlich wurde das Werk auf dem 14. Kurdischen Filmfestival in Hamburg vorgeführt und mit einem Preis ausgezeichnet.

Trotz des Erfolgs begegnet sie in der Filmbranche weiterhin Herausforderungen, wie etwa geschlechterbezogenen Unterschieden und Vorurteilen. Sie kritisiert, dass bei weiblichen Filmschaffenden oft das Geschlecht hervorgehoben wird, sobald Erfolge erzielt werden oder die Annahme besteht, dass es als Frau einfacher sei, Unterstützung für Projekte zu erhalten. Ein weiterer Konflikt, dem sie häufig begegnet, betrifft die kurdische Sprache. Ihr Kurzfilm wurde in türkischer Sprache gedreht und mit kurdischem Untertitel versehen. Daran anknüpfend wurde sie mehrfach mit der Frage konfrontiert, wieso ihr Werk nicht in kurdischer Sprache verfilmt wurde. Durch diese Diskussionen geht die Auseinandersetzung mit den Filminhalten sowie ihrer Rolle als Künstlerin verloren und verschiebt sich zunehmend auf Themen ihrer Identität.

„Wir sind Künstler*innen und versuchen unsere Geschichten aus einer menschlichen Perspektive zu erzählen“

Als Tochter, Mutter, Ehefrau, Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin setzt sie sich speziell mit der Rolle der Frau in ihren Werken auseinander. Im Gespräch betont Derya wiederholt, wie wichtig es ihr ist, sich verstärkt für die Repräsentation von Frauen einzusetzen. Sowohl in Yavru Karınca als auch in ihrem zweiten Drehbuch (an dem sie derzeit arbeitet) sind Frauenfiguren zentral. Dabei zielt sie darauf ab, stereotype Opferrollen und die Mitleidskultur, die insbesondere in kurdischen Filmproduktionen (noch) präsent ist, zu durchbrechen: „Ich möchte aus den Opferrollen ausbrechen und starke Frauengeschichten schreiben. Wir sind keine armen Kurd*innen! Wir sind Künstler*innen und versuchen unsere Geschichten aus einer menschlichen Perspektive zu erzählen“.

Ein Schlagwort, das sie in diesem Kontext verwendet, ist „Agitation“. Oftmals trifft sie auf Regisseur*innen, die bewusst aufrüttelnde Geschichten schreiben, um auf großen Filmfestivals ausgewählt zu werden und Sichtbarkeit zu erlangen: „Zu schreiben, mit dem Ziel einen Preis zu gewinnen, ist ein sehr durchdachter Ansatz und eine kommerzielle Denkweise“. Sie betont, dass man ein Filmprojekt nicht für den äußeren Schein oder die Anerkennung umsetzen soll: „Es ist wie beim Obstverkäufer, der seine schönsten Früchte nach vorne legt, obwohl sie darunter faul sind“. Derya möchte nicht mehr darauf warten, bis sich etwas ändert, sondern selbst aktiv dazu beitragen und die Filmbranche mitgestalten.

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