Usama Al Shahmani kam als Geflüchteter aus dem Irak in die Schweiz und wurde dort heimisch - heimisch in der Landschaft, in den Wäldern, an den Ufern der Flüsse und Bäche und heimisch in der deutschen Sprache. "Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt" ist der dritte Roman von Usama Al Shamani. Er folgt auf "In der Fremde sprechen die Bäume arabisch" und "Im Fallen lernt die Feder fliegen".
Auch in diesem Roman verwebt Usama Al Shahmani eigene Erfahrungen der Flucht, des Ankommens in einer für ihn fremden Welt, Rückblicke in die Heimat und in seine Familiengeschichte - alles überschattet von Krieg und Terror. Und doch bleibt in ihm ein Kern von Hypomone, der inneren Standhaftigkeit, ohne die er all die Widrigkeiten der Flucht und der Zustände im Exil nicht hätte bewältigen können. Hilfreich waren ihm dabei die in der Schweiz entdeckte Liebe zur Natur, seine Wanderungen durch die Wälder, seine Nähe zu den Bäumen und den Vögeln und immer wieder zu fließenden Gewässern.
Alles fließt und nichts bleibt
Flüsse wurden für Al Shahmani Orte der Erneuerung. Die Betrachtung des Wassers gab ihm Kraft und Hoffnung, ganz im Sinne von Heraklits Flusslehre und Platons berühmtem Zitat: Panta rhei. Alles fließt und nichts bleibt. Es gibt nur ein ewiges Werden und Wandeln.
An dem Protagonisten Dafer Schiehan ist dieses Werden und Wandeln nachvollziehbar beschrieben. Den Ängsten des Krieges, der Flucht mit Schleppern, der Bürokratie des Gastlandes ausgesetzt, in dem er fast wie ein Welpe das Leben neu lernen musste, mit all seinen Unwägbarkeiten. Und auch seine innere Zerrissenheit: Was ist Heimat?
Er musste das unbewältigte wortlose Trauern der Familie um seinen verschwundenen Bruder Gabrieb und das Verschwinden von Freunden verarbeiten. Trotzdem findet Dafer seinen Weg, wenn auch nicht seiner Ausbildung gemäß in akademischen Kreisen, sondern als Tellerwäscher, aber mit einem offenen respektvollen Chef, der ihm auf Augenhöhe begegnet und ihm neue Chancen bietet.
Trotz aller unterschwelligen Tristesse ist es ein Roman der Hoffnung. Und wir können hoffen, dass Al Shahmani nach Abschluss dieses „Dreigestirns“ zu neuen Ufern aufbricht. Sich erzählerisch treiben lässt vom Fluss des Lebens.
"Der Vogel zweifelt nicht am Ort, zu dem er fliegt"
Limmat Verlag, ISBN 978-3-03926-042-3