Häufig werde ich danach gefragt, welche Bücher meine Arbeit beeinflussen und welche ich weiterempfehlen würde. Diese Frage lässt sich nicht kompakt beantworten und je nach konkretem Thema widme ich mich mehreren Büchern, Journals und Paneltalks. Wenn ich jedoch reflektiere, welche Autor*innen die Essenz dessen erfassen, was meinen kritischen Blick auf die gelehrte „moderne“ Psychologie und die daraus resultierende politische Arbeit betrifft, stoße ich auf die folgenden Werke. Sie beinhalten sowohl linke politische Theorie als auch die Zwischenmenschlichkeit in einer ungerechten Welt, geprägt von Unterdrückung und den Kämpfen dagegen.
Heute begrüße ich euch also mit ein paar Buchempfehlungen, die in ihrer Essenz dekoloniale, kritische Sichtweisen teilen und gleichzeitig durch unterschiedliche Herangehensweisen und Betroffenheiten entstanden sind. Dabei handelt es sich um nicht-weiße Autor*innen, deren pädagogische, psychologische und politische Werke zwar sehr bekannt sind, im Kontext der westlichen Psychologie jedoch selten berücksichtigt werden und auch uns dadurch nicht immer zugänglich erscheinen.
Menschenkind

„Menschenkind“ (Original „Beloved“) von Toni Morrison ist ein tiefgründiger Roman, der die Nachwirkungen der Sklaverei in den USA beleuchtet.
Der Roman thematisiert die brutalen und anhaltenden Auswirkungen der Sklaverei auf Individuen und Familien, insbesondere auf die psychische Gesundheit und Identität der Überlebenden. Die Geschichte spielt nach dem amerikanischen Bürgerkrieg und folgt Sethe, einer entflohenen Sklavin, die in Cincinnati, Ohio, lebt. Sie wird von den Geistern ihrer Vergangenheit heimgesucht, besonders von dem Geist ihrer toten Tochter Beloved, die sie getötet hat, um sie vor der Versklavung zu bewahren.
Morrison widmet sich vor allem den Themen:
Trauma und Erinnerung: Der Roman untersucht, wie traumatische Erfahrungen das Leben der Überlebenden beeinflussen und wie sie mit diesen Erinnerungen umgehen.
Mutterschaft und Opfer: Sethes Handlung, ihre Tochter zu töten, wirft komplexe Fragen über die Natur der Mutterschaft und die extremen Maßnahmen auf, die Mütter ergreifen, um ihre Kinder zu schützen.
Identität und Freiheit: Der Roman zeigt den Kampf der ehemaligen Sklav*innen, ihre Identität und Menschlichkeit in einer Gesellschaft wiederzuerlangen, die sie lange entmenschlicht hat.
Morrisons Schreibstil ist reich an Symbolik und poetischer Sprache. Der Roman wechselt zwischen verschiedenen Perspektiven und Zeitebenen, um die Tiefe und Komplexität der Charaktere und ihrer Geschichten zu zeigen.
„Beloved“ ist ein kraftvolles Werk, das die schreckliche Realität der Sklaverei und ihre anhaltenden Auswirkungen auf die Nachfahren der Sklav*innen thematisiert. Es ist eine Untersuchung von Schmerz, Erinnerung und der Suche nach Heilung und Identität.
Plantation Memories: Episodes of Everyday Racism

„Plantation Memories: Episodes of Everyday Racism“ von Grada Kilomba ist ein eindrucksvolles Werk, das sich mit den alltäglichen Erfahrungen von Rassismus auseinandersetzt. Kilomba, selbst Psychologin, befasst sich in dem Buch mit den Themen:
Alltäglicher Rassismus: Kilomba beleuchtet die alltäglichen, oft subtilen Formen von Rassismus, die Menschen afrikanischer Herkunft in westlichen Gesellschaften erleben.
Koloniale Vergangenheit und Gegenwart: Das Buch zieht Verbindungen zwischen der kolonialen Vergangenheit und den gegenwärtigen rassistischen Strukturen. Die „Plantation“ dient als Metapher für die fortdauernde koloniale Unterdrückung.
Persönliche Geschichten: Kilomba verwendet persönliche Erzählungen und Anekdoten, um die emotionalen und psychologischen Auswirkungen von Rassismus zu veranschaulichen.
Psychologische Perspektive: Als klinische Psychologin bietet Kilomba eine tiefgehende Analyse der psychologischen Mechanismen von Rassismus und deren Auswirkungen auf das Selbstbild und die Identität der Betroffenen.
Dekolonialisierung des Wissens: Das Buch plädiert für eine Dekolonialisierung des Wissens und der Erzählungen, indem es die dominanten weißen Perspektiven infrage stellt und marginalisierte Stimmen hervorhebt.
Intersektionalität: Kilomba betrachtet die Überschneidungen von Rassismus mit anderen Formen der Unterdrückung wie Sexismus und betont die Komplexität der Erfahrungen von Schwarzen Frauen.
„Plantation Memories“ ist ein wichtiges Werk, das tief in die Strukturen des Rassismus eintaucht und dazu beiträgt, auch bildlich ein Bewusstsein für die fortdauernde Bedeutung der kolonialen Vergangenheit und deren tiefgreifenden psychologischen Folgen zu schaffen.
Pädagogik der Unterdrückten

„Pädagogik der Unterdrückten“ von Paulo Freire ist ein einflussreiches Werk in der Bildungstheorie, das traditionelle Bildungssysteme kritisiert und eine transformative Pädagogik vorschlägt. Die Hauptthemen sind:
Banking-Modell der Bildung: Freire kritisiert das traditionelle Modell, bei dem Lehrende Wissen in passive Schüler*innen „einzahlen“.
Dialogische Pädagogik: Stattdessen fordert er einen dialogischen Ansatz, bei dem Lehrende und Schüler*innen gemeinsam lernen.
Kritisches Bewusstsein: Bildung sollte helfen, soziale und politische Realitäten zu hinterfragen und zu ändern.
Unterdrückung und Befreiung: Bildung muss die Unterdrückten befähigen, ihre eigene Befreiung zu erreichen.
Praxis: Kombination von Reflexion und Aktion als Mittel zur sozialen Veränderung.
Humanisierung: Ziel der Bildung ist es, die Menschlichkeit aller zu fördern und Dehumanisierung zu überwinden.
Rolle der Lehrenden: Lehrende sind Partnerinnen im Lernprozess, nicht autoritäre Wissensvermittlerinnen.
Freires Werk bleibt zentral für Diskussionen über soziale Gerechtigkeit und transformative Bildung.
Die Verdammten dieser Erde

„Die Verdammten dieser Erde“ (Originaltitel: „Les Damnés de la Terre“) von Frantz Fanon ist ein bedeutendes Werk in der postkolonialen Theorie und revolutionären Befreiungsliteratur, welches – zurecht – aktuell wieder viel Aufmerksamkeit bekommt. Fanon widmet sich den Themen:
Koloniale Unterdrückung: Fanon analysiert die brutale Natur der kolonialen Unterdrückung und deren psychologische Auswirkungen auf die Kolonisierten.Gewalt als Mittel der Befreiung: Er argumentiert, dass Gewalt notwendig ist, um das koloniale System zu stürzen und die Würde der Unterdrückten wiederherzustellen. Für Fanon ist Gewalt ein reinigendes und befreiendes Mittel.
Psychologische Effekte der Kolonialisierung: Fanon beschreibt die tiefgreifenden psychologischen Schäden, die die Kolonialherrschaft bei den Kolonisierten verursacht, einschließlich Minderwertigkeitskomplexen und Identitätskrisen.
Nationale Befreiung und Kultur: Die Wiederentdeckung und Wertschätzung der eigenen Kultur sind entscheidend für die nationale Befreiung. Fanon betont die Bedeutung eines neuen nationalen Bewusstseins.
Rolle der Intellektuellen: Er kritisiert die einheimischen Eliten, die oft die Interessen der Kolonialisierenden vertreten, und fordert eine engagierte Intelligenz, die sich der Sache der Befreiung verschreibt.
Postkoloniale Herausforderungen: Fanon warnt vor den Schwierigkeiten und Gefahren nach der Erlangung der Unabhängigkeit, einschließlich der Gefahr, dass die neue Regierung die alte koloniale Machtstruktur übernimmt.
„Die Verdammten dieser Erde“ bleibt ein einflussreiches Werk in den Bereichen postkoloniale Studien, kritische Theorie und revolutionäre Politik.
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