Die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen machen mir extrem Angst. Das Ergebnis der Bundestagswahl mit dem stärksten Ergebnis für eine in Teilen rechtsextreme Partei und die gestiegenen Angriffe auf marginalisierte Gruppen lassen mich besorgt in die Zukunft schauen. Doch eine der wenigen Dinge, die mir aktuell Hoffnung und Mut geben, ist meine Community. Damit meine ich die Schwarze und afro-diasporische Community, der ich selbst angehöre, aber auch die Gemeinschaft in Form meines Freund*innenkreises.
Die meisten meiner Freundinnen können dieses Angstgefühl gut nachvollziehen. Nicht alleine damit zu sein, tut gut. Mit dem Wissen, dass wir unsere jeweiligen Communities und uns als Freund*innen und Verbündete haben, können wir Kraft schöpfen und uns gegenseitig empowern. Genau das ist es, was für mich Community Care ausmacht.
Community Care kann mit „gemeinschaftlicher Fürsorge“ übersetzt werden. Der Begriff wird häufig genutzt, um die Fürsorge innerhalb marginalisierter Gruppen zu beschreiben. In meinem Fall ist es die spezifische Gemeinschaft von Schwarzen beziehungsweise afro-diasporischen Menschen innerhalb Deutschlands. Doch es gibt natürlich eine Vielzahl von weiteren Communities – nur um einige zu nennen: die muslimische, jüdische, arabische, osteuropäische, kurdische, queere oder disabled Community.
Community Care: Perspektiven erweitern
Wenn ich nur meine eigene Community im Blick habe, verliere ich aus den Augen, welche Herausforderungen wir auch gemeinsam haben – beispielsweise die Auseinandersetzung mit Rassismus, Klassismus, Sexismus und anderen strukturellen Diskriminierungsformen. Forscher*innen haben im Auftrag der Bertelsmann Stiftung 2023 sowohl Menschen mit als auch ohne Migrationshintergrund nach subjektiven Diskriminierungserfahrungen und deren vermuteten Gründe befragt. Dabei waren die am meisten genannten Gründe, weshalb sich Befragte mit Migrationshintergrund diskriminiert fühlen, die folgenden: aufgrund der ethnischen Herkunft oder aus rassistischen oder antisemitischen Gründen (35 %), wegen der eigenen Religion oder Weltanschauung (28 %) und aufgrund eines zu niedrigen Einkommens (24 %).
Natürlich wirken diese Diskriminierungsformen bei allen Gruppen nicht genau gleich, aber meiner Ansicht nach ähneln sich die Erfahrungen, wenn es um Rassismus geht. Daher sollte innerhalb unserer Gesellschaft ein Grundverständnis für die Anliegen, Herausforderungen aber auch Wünsche der jeweiligen Communities vorhanden sein, um so gemeinsam Lösungen zu finden.
„Innermigrantischer Rassismus“ – Warum die Gefahr auch von innen ausgehen kann
Meiner Ansicht nach gibt es zwei Ebenen, auf denen Community Care passieren kann und sollte. Die erste Ebene ist intern: Dazu gehört beispielsweise, Räume für Selbstermächtigung für die eigene Community zu erschaffen und zu gestalten. Dazu gehört für mich aber auch eine ernsthafte und nachhaltige Auseinandersetzung mit „innermigrantischem Rassismus“ – also welche Vorurteile und Rassismen man anderen Gruppen gegenüber verinnerlicht hat.
Ein anschauliches Beispiel dafür sind die sogenannten „Grauen Wölfe“. Die „Grauen Wölfe“ sind eine rechtsextreme türkische Bewegung, die in Deutschland laut der Amadeu Antonio Stiftung zwischen 11.000 und 15.000 Mitglieder zählt. Anhänger*innen vertreten eine Ideologie, die zutiefst antidemokratisch sowie antipluralistisch ist. Genauer: Das „Türkentum“ wird als privilegierte und überhöhte Gruppe dargestellt, daher vereint die Gruppe Rassismus, Antisemitismus, religiöse Anti-Liberalität und einen hierarchischen Führerkult.
Außerdem geht es den Grauen Wölfen um die vermeintliche Überlegenheit ihrer eigenen „Rasse“. Dabei ist das übergeordnete Ziel, ein großtürkisches Reich (Turan), zu schaffen. In diesem ethnofaschistischen Großreich ist kein Platz für die genannten ethnischen sowie religiösen Minderheiten vorgesehen. Wichtig ist: Die Ideologie der Grauen Wölfe funktioniert ähnlich derer von Rechtsextremen und Ethnofaschisten.
Anhängerinnen der „Grauen Wölfe“ können in Deutschland zwar selbst antimuslimischen Rassismus erfahren, aber Teile der Bewegung sind eben auch besonders gefährlich, da sie beispielsweise Gruppen wie Armenierinnen, Kurd*innen, Alevit*innen, Ezid*innen, Pontosgriech*innen und weitere organisiert terrorisieren und sie in ihrem Alltag einschüchtern. Dabei ist die Diskriminierung der genannten Gruppen doppelt unsichtbar, da zum einen die deutsche Mehrheitsgesellschaft blind für ihre Rassismuserfahrungen ist und es zum anderen auch innerhalb und zwischen den Communities kaum den nötigen Raum und Ressourcen für eine gemeinsame Auseinandersetzung mit den „Grauen Wölfen“ gibt.
Auch andere nationalistische Gruppierungen, die gegen Minderheiten in ihren eigenen Reihen oder gegen andere Communities hetzen, müssen verurteilt und mit aller Härte bekämpft werden. Das Ziel sollte immer sein, dass sich jede Person der jeweiligen Community in der eigenen Gemeinschaft wohlfühlt und akzeptiert wird.
Auch Nicht-Betroffene können sich solidarisch zeigen
Die zweite Ebene, auf der Community Care passieren kann, ist die externe. Hier meine ich insbesondere Menschen außerhalb der jeweiligen Community. Sie sollten sich in erster Linie selbst mit den Herausforderungen und Lebensrealitäten von marginalisierten Gruppen auseinandersetzen. Dafür gibt es inzwischen auch viele Anlaufstellen. Ein Beispiel ist die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD). Die Initiative bietet unter anderem politische Bildungsprojekte und Organisation von Events an, um Anti-Schwarzen Rassismus in Deutschland sichtbar zu machen und zu bekämpfen. Nicht-betroffene Personen stehen hier in der Pflicht, sich (weiter-) zu bilden und sich für andere Lebensrealitäten zu sensibilisieren.
Die interne und die externe Ebene dürfen und sollen nicht voneinander getrennt betrachtet werden. Im Gegenteil – zukünftig sollte es umso mehr darum gehen, die Ebenen miteinander zu verknüpfen. Jede Person sollte sich in der eigenen Community akzeptiert und für ihre Einzigartigkeit wertgeschätzt fühlen. Dazu müssen die Bedürfnisse aller Mitglieder berücksichtigt werden, insbesondere derer, die in der Mehrheitsgesellschaft mehrfach diskriminiert werden. Es braucht entsprechende Empowermenträume, Weiterbildungsangebote, Workshops innerhalb und außerhalb unserer Communities.
Gerade jetzt, mit dem Aufwind und Zuspruch der rechten Kräfte in Deutschland, ist es umso wichtiger, dass marginalisierte Gruppen zusammenrücken. Auch die community-übergreifende Zusammenarbeit sollte im Kampf gegen die eigene Unterdrückung stärker in den Fokus aller rücken. Wir sollten als Communities überlegen, wie wir gemeinsam Räume schaffen können, in denen wir uns gegenseitig Halt geben. Nur gemeinsam können wir Lösungen für aktuelle Herausforderungen entwickeln und sicherer und wertschätzender miteinander umgehen.
Solidarität und Care können eine dauerhafte Allianz verschiedener Communities verstärken. So schaffen wir echte und nachhaltige Strukturen, die an die Bedürfnisse aller Menschen anknüpfen, die Diskriminierung in unserer Gesellschaft erfahren.