Rima, vor Kurzem wurde der Fußballspieler Antonio Rüdiger zu Unrecht als Islamist diffamiert. Wegen eines erhobenen Fingers auf seinem Instagram-Bild wurde ihm von Ex-Bildchef Julian Reichelt auf X die Nähe zum Islamismus vorgeworfen. Was steckt deiner Meinung nach hinter den Anschuldigungen?
Rima Hanano: Ich glaube, dass die Debatte vor allem zwei Aspekte zeigt. Zum einen, wie antimuslimischer Rassismus funktioniert, nämlich durch die starke Bereitschaft, muslimische Menschen pauschal auszugrenzen und auch als Gefahr wahrzunehmen.
Zum anderen sieht man bei dem Fall von Rüdiger, dass Personen aus dem rechtskonservativen bis hin zum rechtsextremen Spektrum gezielt mit muslimfeindlichen Stereotypen arbeiten. Antimuslimischer Rassismus funktioniert gut, wenn es darum geht, Menschen aus der Mitte der Gesellschaft für rechte Politik zu gewinnen, weil diese gewissermaßen als Brücke zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus fungiert. Üblicherweise sind die Diskurse rund um muslimische Menschen in der Öffentlichkeit gekennzeichnet von Kriminalisierung und Homogenisierung, wie beispielsweise bei der Silvesternacht-Debatte. Fälschlicherweise werden muslimische Menschen als einheitliche Gruppe dargestellt. Worüber dabei viel zu wenig gesprochen wird, sind die Übergriffe, der antimuslimische Rassismus und die Ausgrenzung.
Also spielt strategisches Kalkül eine wesentliche Rolle im Fall von Antonio Rüdiger und der Schaffung von antimuslimischen Stereotypen und Narrativen?
Wenn man sich die Berichterstattung anschaut, wird schon klar, dass dieses Medium (Nius) Stichwortgeber im antimuslimischen Diskurs ist. Prinzipiell würde ich auch bei der Causa Rüdiger eine gezielte Agenda vermuten. Antimuslimische Stereotype sieht man übrigens auch bei der Programmatik der AfD, doch nicht nur da. Auch die anderen größeren Parteien reproduzieren in ihren Wahlprogrammen antimuslimische Narrative.
"Häufig fehlen die Stimmen von den Betroffenen"
Welche Rolle nehmen die Medien ein?
Ein Großteil der Menschen bezieht ihr Wissen über muslimische Menschen über die Medien, insofern nehmen sie eine zentrale Rolle ein. Wenn man sich die Berichterstattungen der letzten Jahre anschaut, sieht man, dass Muslim*innen stets mit einer negativen Konnotation versehen werden. Der Duktus der Texte stellt sie häufig als kulturelle Herausforderung, ein Integrationsproblem oder ein Sicherheitsrisiko dar. Dabei werden der zunehmende antimuslimische Rassismus und die Chance für eine vielfältige Gesellschaft größtenteils ignoriert.
Bei dem Fall von Rüdiger wird auch klar, dass manche Medien gezielt Diffamierungs- und Ausgrenzungskampagnen gegen muslimische Personen führen, weshalb Faktenchecks überaus wichtig sind. Gerade, weil mediale Diskurse den Boden für Übergriffe bilden können und bei manchen Menschen eine gewisse Legitimation für Diskriminierung hervorrufen. Rassistische und auch antisemitische Anschläge zum Beispiel in Halle, Hanau und Solingen sind nicht im luftleeren Raum entstanden.
Was muss sich in der Medienlandschaft ändern, damit sich die Situation verbessert?
Wir sehen, dass insgesamt in den Medien keine ausreichende Expertise vorhanden ist, wenn es um antimuslimischen Rassismus geht. Es bedarf also rassismuskritischer Qualifizierungsangebote in den Redaktionen, um die Reproduktion von antimuslimischen Stereotypen zu verhindern oder zu verringern. Das gelingt dann am besten, wenn muslimische Menschen in den Redaktionen repräsentiert sind – und zwar auch in den Chefetagen. Außerdem fehlen häufig die Stimmen von den Betroffenen. Bei der Auswahl von Expertinnen für Fernsehsendungen oder dergleichen sollten nicht immer dieselbe Person eingeladen werden. Die muslimische Community ist vielfältig, deshalb kann eine einzige Person nicht die Gesamtheit der Musliminnen in Deutschland vertreten.
"Förderung von Demokratie bedeutet auch die Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus"
Wie habt ihr bei CLAIM auf die Causa Rüdiger und die Berichterstattung reagiert?
Für uns war das leider keine so große Überraschung, weil sich die Diskurse seit Jahren in eine negative Richtung für muslimische Menschen entwickeln. In Wirklichkeit waren wir froh darüber, dass es sich bei dieser Causa um einen weltbekannten Fußballspieler handelte, der ausreichende Ressourcen hatte, um sich gegen die Verleumdungen zu wehren. Bei anderen sieht es da ganz anders aus.
Mit eurer Arbeit wollt ihr antimuslimischen Rassismus sichtbar machen. Welche Wirkung hat das auf die Gesellschaft?
In erster Linie verstehe ich unsere Arbeit als Demokratieförderung. Wir sind stets bemüht, für die Grund- und Menschenrechte einzustehen. Förderung von Demokratie bedeutet auch die Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus. Für mich ist es wichtig, zu verdeutlichen, dass der Schutz von muslimischen Menschen kein Randthema ist, sondern uns alle betrifft. Um das Erstarken der Rechten, die eine Gefahr für die Demokratie darstellen, zu verhindern, muss antimuslimische Diskriminierung beseitigt werden.
Mit unserer Arbeit fördern wir auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt, indem wir die Ausgrenzung bekämpfen und somit das Zugehörigkeitsgefühl stärken.
Welche Herausforderungen begegnen euch?
Unsere größte Herausforderung ist, dass wir um die Anerkennung von antimuslimischem Rassismus ringen. Das klingt zynisch, weil es zahlreiche repräsentative Studien gibt, die den Schaden für die Gesellschaft belegen. Doch wir müssen immer wieder aufzeigen, wie wesentlich die Bekämpfung dessen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie als Ganzes ist. Auf politischer und gesellschaftlicher Ebene fehlt das Bewusstsein für das Thema, dabei ist die Anerkennung essentiell. Wenn das Problem nicht gesehen wird, fällt die Beseitigung auch umso schwerer.
Welche Wünsche hast du an die Politik?
Die Arbeit verlangt von den mitarbeitenden Personen und den Ehrenamtlichen sehr viel ab. Einige erleben Anfeindungen und toxische Erfahrungen bei dem Versuch, den Hass und die Hetze zu bekämpfen. Ich wünsche mir mehr Wertschätzung für die Personen, die sich tagtäglich für Antidiskriminierung, Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus und Demokratieförderung einsetzen und dabei die Feindlichkeit in Kauf nehmen. Das Arbeitspensum ist enorm und für die Bewältigung sollten ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden.