Wann hattest du deine Familie das letzte Mal gesehen? Bei meinem Kollegen Amad, der seine Geschichte in dieser Ausgabe von nelken & nostalgie teilt, waren es 12 Jahre. Er ist 2012 aus Syrien geflüchtet.
In den letzten Tagen hat er nicht nur (verzweifelt) versucht, die Mengenangaben für die Bitterorangen-Marmelade seiner Mutter zu bekommen — eine kollektive Herausforderung aller Autor*innen bisher, da viel nach Gefühl gekocht wird — sondern auch ständig mit seiner Familie in Syrien wegen der aktuellen Entwicklungen telefoniert. Und während ich Tränen in den Augen hatte, als ich Amads Text Korrektur gelesen habe, war Amad die ganze Woche am Strahlen. So positiv, hoffnungsvoll und energiegeladen habe ich Amad noch nie erlebt. Seit dem Sturz des Assad-Regimes in seiner Heimat scheint ein erneuter Besuch seiner Familie greifbar wie nie zuvor. Es werden hoffentlich keine weiteren 12 Jahre sein.
Wenn du verstehen möchtest, warum die Lage in Syrien derzeit so außergewöhnlich ist und wie Menschen aus Syrien den Sturz des Regimes erleben, empfehle ich dir übrigens den Newsletter „syrien update“.
Ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen von Amads Beitrag und beim Nachkochen!
Deine Natalia
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Anfang des Jahres hatte ich die Gelegenheit, meine Mutter nach fast 12 Jahren Trennung wiederzusehen. Die Reise war für den Juni geplant, aber die Vorbereitungen für unser Treffen begannen schon Monate vorher.
„Was wünschst du dir am meisten im Exil? Sag es mir, wünsch dir etwas“, sagte meine Mutter immer wieder. Doch trotz ihrer wiederholten Versuche bat ich sie um nichts. Ich wollte sie nicht belasten und dachte, dass mir das gelungen sei. Eines Tages fragte ich sie schließlich, ob es möglich sei, Marmelade aus Bitterorangen vom Markt zu besorgen – nur, um sie nicht zu überfordern.
Am nächsten Morgen schickte sie mir detaillierte Bilder, die alle Schritte der Marmeladenzubereitung zeigten, in sehr guter Qualität. Ich dachte, sie hätte sie in sozialen Medien gefunden. Verwundert fragte ich sie: „Was für ein Zufall! Woher hast du diese Bilder? Wir haben doch erst gestern Abend über Bitterorangen-Marmelade gesprochen, und heute schlagen sie dir das auf Facebook vor.“ Die überraschende Antwort war, dass sie früh am Morgen direkt Orangen gekauft und die Marmelade selbst zubereitet hatte.
Ja, das ist eine Mutter, die ihren einzigen Sohn seit elf Jahren nicht gesehen hat. Hätte ich mir das Unmögliche gewünscht, sie hätte es mir gebracht – wie wir in Syrien sagen: „Selbst die Milch eines Vogels würde sie holen.“
Die Sprache der Liebe in meiner Heimat ist das Essen. Viele Syrerinnen haben andere Sprachen der Liebe nicht gelernt; Essen ist zur primären Ausdrucksform der Zuneigung geworden. Die beste Art, Liebe zu zeigen, ist es, das Lieblingsgericht der geliebten Person zuzubereiten. Um Gästinnen zu ehren, würde derdie Gastgeberin sogar Schulden aufnehmen, nur um ein angemessenes Mittagessen anbieten zu können. So zeigte meine Mutter ihre Sehnsucht und ihr Verlangen, mich zu sehen, indem sie diese aufwendige Marmelade zubereitete. Sie ließ mich spüren, wie sehr sie mich vermisste.
Als ich meine Mutter dann endlich wiedergesehen habe und die Marmelade zum ersten Mal probierte, war ich wieder ein kleines Kind. Ich legte meinen Kopf in den Schoß meiner Mutter, küsste ihre Hände, die die Orangen geschält hatten, und spürte den Duft der Früchte an ihren vertrauten Fingern. Ich erinnerte mich an die Momente, in denen ich an regnerischen Wintertagen von der Schule nach Hause kam, unter dem sanften Regen der Mittelmeerküste.
Viel Spaß beim Ausprobieren!
Dein Amad
Das Rezept: Bitterorangen-Marmelade
Zutaten:
- Bitterorangen
- Zucker
- Wasser
Für ein Glas brauchst du ungefähr 4–5 Orangen. Die Menge des Zuckers ergibt sich aus dem Volumen der Orangen. Sobald du die Orangen verarbeitet hast (siehe Zubereitung), bemisst du das ungefähre Volumen (nicht das Gewicht!) der Orangen und nimmst den gleichen Anteil an Zucker für die weitere Verarbeitung.
Zubereitung:
- Orangen waschen, die Schale abreiben, Orangen halbieren und auspressen (den Saft kannst du für andere Rezepte nutzen) und das Innere entfernen.
- Die Schalenhälfte mit Kochfäden zusammenbinden. 2-3 Tage in Wasser einlegen. Dieses regelmäßig wechseln, bis es nicht mehr bitter ist.
- Anschließend Zucker im Volumen der eingelegten Schalen bemessen und mit den Orangenschalen und dem Wasser in einem Topf kochen lassen, bis die Schalen weich werden und der Sirup dickflüssig wird. Falls du zu wenig Wasser genommen hast und die Masse zwar dickflüssig, die Schalen aber noch nicht weich sind, einfach mehr Wasser dazugeben.
- In Gläser abfüllen.
Das Geheimnis
Diese Art von Orangen findet man nur in den Küstenregionen des Mittelmeers, was es außerhalb dieser Regionen schwierig macht, sie zu bekommen. Ihr Geschmack ist sauer, mit einem Hauch von Bitterkeit, weshalb sie sich besser für Säfte und das Kochen eignen, als zum „rohen“ Essen. Meine Mutter bewahrte den Saft auf, um damit Gerichte wie Molokhia oder Spinat-Eintöpfe mit Radieschen zu säuern. Auch die Schale hat einen intensiven Duft, weshalb meine Mutter sie geriebene für Süßspeisen und Gebäck verwendet.
Da Bitterorangen hier in Deutschland schwer zu bekommen sind, kannst du auch „normale“ Bio-Orangen für die Zubereitung nutzen. Diese musst du nicht mehrere Tage lang einlegen.



