Bisan Badawi, 18 Jahre alt, ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Sie macht gerade ihr Abitur mit der Fachrichtung Maschinenbautechnik. „Wenn ich nicht gerade für Klausuren lerne, stehe ich als Poetry Slammerin auf Bühnen oder drehe Videos für meine Social-Media-Kanäle.“
Bisan wusste, dass sie studieren wollte, doch die genaue Studienrichtung war ihr zunächst noch unklar. Aus diesem Grund entschied sie sich für ein fachgebundenes Abitur: „Maschinenbau als Leistungskurs klang herausfordernd und interessant. Außerdem gibt es viel zu wenig Frauen in diesem Bereich, also dachte ich mir, ich schnuppere mal rein.“
Mit Social Media hat sie 2020 angefangen, während der Corona-Pandemie. Sie erzählt: „Davor habe ich nur aus Spaß Videos gedreht, bis ein Hijab Tutorial von mir viral ging und meine Kanäle auf TikTok und Instagram immer mehr Aufmerksamkeit bekamen.“
Ende 2021 lernte sie durch einen Workshop Poetry Slam kennen. „Ich war begeistert und schrieb dann Anfang 2022 meinen ersten Text über meine Rassismus-Erfahrungen in Deutschland. Ich lernte nicht nur, meine Gedanken zu Papier zu bringen, Poetry Slam gab mir auch eine Bühne, um auf künstlerische Art und Weise auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam zu machen“, erinnert sich Bisan.
Als sie begann, ihre Texte auf ihren Plattformen zu teilen, konnten sich zahlreiche Menschen mit ihren Inhalten identifizieren. Vor Kurzem erlangte sie den Titel der sächsischen Vizelandesmeisterin U20 im Poetry Slam und nahm erfolgreich an den deutschsprachigen Meisterschaften teil. „Heute schreibe ich mit Leidenschaft“, betont sie.
In erster Linie ist sie aber gläubige Muslimin: „Meine Religion motiviert mich jeden Tag, mich im Internet und auf der Bühne für Menschen einzusetzen und meine Texte zu schreiben. Ich bin davon überzeugt, dass wir trotz unterschiedlicher Herkunft, Religion, Hautfarbe und Sexualität alle gleich sind. Jeder sollte das Recht haben, fair behandelt und respektiert zu werden.“
Austausch statt Anpassung
„In unserer Gesellschaft gilt es, sich an vorgegebene Strukturen anzupassen, und wer das nicht tut, wird ausgeschlossen“, sagt sie. Sei es das rigide Schulsystem oder das kulturelle Umfeld. Ihr Wunsch ist eine Gesellschaft, in der jede*r die eigene Individualität frei entfalten kann, ohne dafür kritisiert zu werden. „Stattdessen sollten wir durch den Austausch unsere Unterschiede erkennen und schätzen lernen.“
Bisans Eltern stammen aus Syrien, „einem Land, in dem Meinungsfreiheit fehlt“, erklärt sie. Ihr Vater ist in den 90er-Jahren als Arbeiter nach Deutschland gekommen, um seine Familie in Syrien finanziell zu unterstützen, „später hat er meine Mutter geheiratet und sie sind zusammen hierhergezogen“.
Das war aber nicht immer leicht für die Familie: „Meine Mutter hatte nie geplant, ihr ganzes Leben in Deutschland zu bleiben, deshalb war es ein Schock für sie, als sie wegen des Krieges hier festsaß und nicht mehr zurückkonnte.“
„Obwohl ich nicht weiß, wie es ist, von einem Tag auf den anderen sein ganzes Leben hinter sich zu lassen und ein neues Leben woanders, in einem anderen kulturellen und sprachlichen Umfeld zu beginnen und dort auch noch Hass zu erfahren, gebe ich mein Bestes, um mich für diese Menschen einzusetzen“, sagt Bisan.
Bisans persönliche Erfahrung als eine Person, die „in der Mitte zweier Kulturen aufgewachsen ist“, verleiht ihrer Perspektive eine tiefe Nuance. Die Geschichte ihrer Eltern, die aus Syrien stammen, verdeutlicht die Herausforderungen, vor denen viele Migrant*innen stehen: die Notwendigkeit, ein neues Leben in einem anderen kulturellen und sprachlichen Umfeld aufzubauen, oft unter Bedingungen, die von Unsicherheit und Konflikten geprägt sind.
In ihren Texten nimmt sie gerne die Politik ins Visier und spricht über Themen wie Rassismus, Diskriminierung und Vorurteile. „Je mehr ich durch meine Lyrik Raum einnehme, desto mehr Sorgen machen sich meine Eltern um mich“, erklärt Bisan, „Wann hörst du endlich auf, über Rassismus zu schreiben?, fragte mich meine Mutter einmal und ich antwortete: Bis es keinen Rassismus mehr gibt.“
„Ich verstehe meine Eltern und nehme es ihnen nicht übel. Insgesamt sind sie sehr stolz auf mich. Mein Vater spricht nicht viel darüber, aber als Junge schrieb er selbst Gedichte und kritisierte die Politik. Manchmal sehe ich, wie meine Mutter meinen Großeltern Videos von meinen Auftritten schickt. Obwohl sie in Syrien leben und kein Wort verstehen, schauen sie sich meine Videos bis zum Ende an“, ergänzt Bisan.
Sie wurde sich ihrer „Andersartigkeit als Mensch mit Migrationshintergrund“ erst in der 5. Klasse bewusst, als sie auf ein Gymnasium wechselte. „Dort konnte ich die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund an einer Hand abzählen. Dies war mein erster Kontakt mit Ausgrenzung, Hass und Vorurteilen. In dieser Zeit habe ich oft darüber nachgedacht, meinen Hijab abzulegen. Nicht weil ich meinen Hijab hasste, sondern weil ich es hasste, wie die Leute mich mit meinem Hijab behandelten“, sagt sie. Später wechselte sie die Schule. Das Sprechen über ihre Erfahrungen mit Ausgrenzung fiel Bisan schwer, „aber als ich die Poesie entdeckte, lagen mir die Worte auf der Zunge“.
Hijab als Ausdruck von Selbstbestimmung
„Dass mir immer wieder von verschiedenen Leuten unterstellt wird, ich würde mit meinem Kopftuch unterdrückt werden oder einer patriarchalischen, frauenverachtenden Religion angehören, habe ich nie verstanden. Diese Art von Feminismus bleibt für mich unklar“, sagt Bisan.
Dann erwähnt sie das Buch „Ain't I a Woman?“ von Bell Hooks, das die Entwicklung der Frauenrechtsbewegung in Amerika behandelt. Hooks zeigt auf, wie diese Bewegung ursprünglich nur für weiße Frauen gedacht war, und nicht-weiße Frauen von Anfang an ignoriert und diskriminiert wurden. Obwohl sich der Feminismus heute in verschiedene Strömungen aufgeteilt hat, sind nicht-weiße Frauen in vielen Bereichen immer noch nicht ausreichend repräsentiert. „Als ich anfing, das Kopftuch zu tragen, und meine Lehrer als erste Reaktion mich fragten, ob ich dazu gezwungen wurde, machte ich es mir zur Aufgabe, mich mit Frauenrechten im Allgemeinen und speziell im Islam auseinanderzusetzen“, berichtete Bisan.
Sie wollte verstehen, „warum Menschen diese Vorurteile haben, und kam immer wieder darauf, dass die unterdrückte, arme, ungebildete Muslima ein absolut ungerechtfertigter Gedanke ist. Nicht, dass es in irgendeiner Weise gerechtfertigte Vorurteile gäbe, aber die Medien waren meine Antwort auf diese Frage. Denn Religion und Kultur werden in den Medien gerne in einen Topf geworfen. Dabei war der Islam eigentlich die erste Religion überhaupt, die den Frauen Rechte gegeben hat, aber darüber wird nicht gerne berichtet. Dass es heute so einen frauenfeindlichen Diskurs in ,muslimischen’ Ländern gibt, liegt nicht an der Religion, sondern an kulturellen Normen und Werten, aber auch an der Kolonialisierung.“ Bisan hat eine umfassende wissenschaftliche Arbeit darüber verfasst und könnte „ein ganzes Buch darüber verfassen, aber wenn es um Diskriminierung geht, liebe ich es, mit Menschen über Frauenrechte zu diskutieren“.
„Für mich ist Feminismus, wenn Frauen frei entscheiden können, wie sie sich kleiden. Ich habe mich aus religiöser Überzeugung für das Kopftuch entschieden. Niemand sollte jemals zu etwas gezwungen werden. Dazu gehört, jemandem den Hijab aufzuzwingen, aber auch, ihn unter Zwang abzulegen. Beides ist falsch.“ Ihre Überzeugung, dass sowohl die Entscheidung für ein Kopftuch als auch für ein kurzes Kleid gleichermaßen akzeptabel sind, unterstreicht die Vielfalt feministischer Menschen. Gleichzeitig verurteilt sie jeglichen Zwang, sei es das Auferlegen oder das Entfernen eines Kopftuchs, als inakzeptabel. In dieser Haltung spiegelt sich ihre Überzeugung von Gleichberechtigung und individueller Freiheit wider, die unabhängig von äußeren Erscheinungen gelten sollte.
Vielfalt in der öffentlichen Wahrnehmung
Eine solche Vielfalt müsse auch in öffentlichen Diskussionen sichtbar werden. Bisan fehlt dabei aber die Perspektive der Betroffenen. „Es wird gerne über Migranten und Flüchtlinge geredet, aber nie mit ihnen. Wir haben eine große Lücke im Austausch. Das führt dazu, dass Gesetze und Regelungen geschaffen werden, die überhaupt nicht realitätsnah oder gar menschlich sind. Ein Beispiel ist das Thema Abschiebung.“
„Für alle Menschen, die diskriminiert, benachteiligt und ignoriert werden“, würde sie sich immer einsetzen, denn „mich motivieren und inspirieren die Menschen um mich herum, weiterzumachen und nicht aufzugeben. Sich für andere einzusetzen, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Nur so funktioniert Demokratie und nur so bewahren wir unsere Menschlichkeit.“
Als Ratschläge für das Leben gibt Bisan gerne Folgendes mit auf den Weg: „Angst ist ein Gefühl, das uns vor gefährlichen Situationen schützt, aber oft auch nur ein Gitter, das Türen versperrt. Wenn du vor einer unsicheren Entscheidung stehst, stelle dir immer die Frage: Was würde ich tun, wenn ich keine Angst hätte? Lege alle deine Gedanken zur Seite und handle dann genau so, wie es dich am meisten beängstigt. Solange deine Intentionen rein und ehrlich sind, sollte es dir gleichgültig sein, was die Leute um dich herum dabei sagen werden. Denn das einzige, wofür du dich am Ende des Tages rechtfertigen musst, ist dein Gewissen und Gott. Also sei laut, nutze deine Stimme, um Menschen zu helfen, und stelle dich deiner Angst.“
Bisans Mut, komplexe Themen anzusprechen, macht sie zu einer inspirierenden Persönlichkeit, die für echten Dialog, Selbstbestimmung und gesellschaftliche Veränderung eintritt.
Instagram: @bisan.qn