Einen besonderen Blick auf diese Strukturen wirft Behzad Karim Khani in seinem zweiten Roman „Als wir Schwäne waren.“ Karim Khani, dessen Debüt „Hund, Wolf, Schakal“ nicht nur ein Bestseller war, sondern auch mehrere Preise gewann, darunter den Debütpreis des Buddenbrookhauses 2023, erzählt in seinem neuen Roman auf brutale, aber zugleich unterhaltsame Weise vom Aufwachsen als Migrantenkind in einer deutschen Siedlung. Kaum jemand vermag es so eindrucksvoll wie er, die Leser*innenschaft mit diskriminierenden Strukturen zu konfrontieren. Karim Khanis außergewöhnliche Biografie spiegelt sich deutlich in seinem einzigartigen Schreibstil wider. Genau darüber habe ich mit ihm gesprochen.
Wie sehr sind deine eigenen Erfahrungen als Migrant in Deutschland in die Bücher eingeflossen, und wie haben diese deine Perspektive auf das Schreiben beeinflusst?
Das Fremdsein ist ein essenzieller Teil meiner Person und ich kann nicht sagen, wo ich als Person aufhöre und als Autor beginne. Die Überlagerung ist beinahe lückenlos. Ich denke, man kann mir einiges vorwerfen, aber alles, was ich schreibe, ist erfahrungsgeschwängert.
Als Autor mit einem iranischen Hintergrund, der in Deutschland lebt und schreibt, wie erlebst du die deutsche Literaturszene?
Dem deutschen Literaturbetrieb fehlt das, was dem Rest Deutschlands auch fehlt – Schub von der Straße. Ich überzeichne die Branche mal: Da sitzen Herren in Kordhosen, mit Geheimratsecken, Schuppen auf den Schultern und schlechtem Atem. Damen mit sprödem Haar in Blümchenkleidern und geschmacklosem Schuhwerk, die Zähne gezeichnet vom Rotwein- und Tabakkonsum. Und diese Leute wähnen sich im Besitz des Höchstgedachten. Glauben alles, was Qualität besitzt, würde ihnen zwangsläufig vor die Füße gespült. Natürlich ist eine solche Branche gemütlich, unbeweglich und will keine größeren Störungen. Entsprechend ist sie durchlässiger für solche Migranten und Postmigranten, die sich vor allem durch ihre Unterwürfigkeit und Harmlosigkeit auszeichnen.
Natürlich hat eine migrantische Autorin, die jahrelang in der FAZ gegen Moslems und Araber gewettert hat, eine einfachere Position als jemand, der sich in der Öffentlichkeit dafür starkmacht, dass Menschenrechte auch für Palästinenser gelten.
Was folgert sich daraus für dich?
Naja, es ist falsch, zu glauben, dass diese Token den Betrieb durchdringen und ihre Türen von innen öffnen werden. Ganz im Gegenteil. Ich möchte prophezeien, dass wir es mit den Schoßhunden als Gatekeeper schwerer haben werden als mit den Kordhosen und Blümchenkleidern. Für uns also, die mit Würde und Stolz ihre Arbeit machen, heißt dieser Umstand, dass wir mehr Räume schaffen müssen, unbedingt auch exklusive Räume. Wir brauchen eigene Stipendien, Stiftungen, Wettbewerbe, Festivals, Blogs, Zeitschriften etc. Wir müssen aus den Nischen raus und dominieren. Die afroamerikanische Community hat es uns vorgemacht. Ihrem Beispiel sollten wir folgen. Deshalb biete ich migrantischen Buchläden zum Beispiel an, unentgeltlich bei ihnen zu lesen und nehme mir für ein Interview mit dir genauso viel Zeit wie für die Süddeutsche Zeitung.
Du schreibst auf Deutsch, während deine erste Sprache, oder deine sogenannte Muttersprache, Farsi ist. Wie beeinflusst deine mehrsprachige Identität dein Schreiben? Gibt es spezifische Herausforderungen oder Vorteile, die du durch das Schreiben in einer anderen Sprache erlebst?
Meine Bücher sind deutsch, weil sie sich gegen die deutsche Sprache behaupten wollen und dabei dort ihren ästhetischen Rahmen finden oder schaffen. Aber sie stehen nicht in der Tradition deutscher Literatur. Da ist kein Hölderlin und Fontane in meinem Buch, kein Böll, Brecht oder Kracht. Wenn ich Glück habe, ein bisschen Peter Weiss, ein bisschen Herrndorf, etwas Musil. Aber nicht mehr. Nas ist in meinen Büchern. J. Cole, Kendrick Lamar, Iceberg Slim und Gil Scott Heron. Marquez. Die Russen sind in meinem Buch. Camus und unbedingt Baldwin. Meine Obszönität ist französisch, meine Melancholie persisch. Es gibt einen literarischen persischen Einfluss. Da sind zum Beispiel Forough Farrokhzad, Nima Youschidsch, Sohrab Sepehri. Aber einen rein sprachlichen Einfluss sehe ich nicht.
Als wir Schwäne waren„Als wir Schwäne waren“ von Behzad Karim Khani erzählt die Geschichte eines iranischen Jungen, der in den 1990er Jahren mit seiner Familie ins Ruhrgebiet flieht. In einer trostlosen Siedlung kämpft die Familie mit den Herausforderungen der Migration und den Spannungen im neuen Umfeld. Khani beschreibt eindringlich die wachsende Wut des Jungen, der die Härte der Straßen und die Schweigsamkeit seines Vaters erlebt, während die Mutter unbeirrt an ein besseres Leben glaubt. Mit einer Mischung aus Humor, Nachdenklichkeit und schmerzhaften Einsichten beleuchtet Khani die komplexen Realitäten des Aufwachsens zwischen zwei Welten. Der Roman berührt durch seine ehrliche Darstellung von Gewalt, Entfremdung und der Suche nach einem Platz in einer fremden Gesellschaft.

Dieses Interview ist im Newsletter „migrantisch gelesen“ unseres Autors Omid Rezaee erschienen. Wenn du an Neuigkeiten zu Literatur, Leseempfehlungen und Interviews mit Schriftsteller*innen interessiert bist, abonniere ihn unbedingt hier!