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Asylrecht für alle? – Diskriminierung von queeren Geflüchteten im Asylverfahren

Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität kann in Deutschland ein anerkannter Asylgrund sein. Lilith Raza vom LSVD⁺ fordert mehr Schutz, Sichtbarkeit und Aufklärung – von Anfang an.

Asylrecht für alle? – Diskriminierung von queeren Geflüchteten im Asylverfahren
Fotograf*in: Caro Kadatz

Queere Menschen sind von Konflikten, Kriegen und Menschenrechtsverletzungen unterschiedlich betroffen – selbst wenn sie aus den gleichen Gründen wie andere Geflüchtete fliehen. Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität (SOGI) ist in Deutschland ein anerkannter Asylgrund. Dieser gilt für queere Menschen, also lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche (LSBTQIA*+), die in ihren Herkunftsländern Verfolgung und Gewalt erfahren mussten. Sie zählen zu besonders schutzbedürftigen Personen.

Häufig kommen sie aus einem soziokulturellen Umfeld und einem politischen Staatsgefüge, in dem die soziale, wirtschaftliche und rechtliche Situation eine Bedrohung für Menschen mit einer queeren Lebensweise darstellt. Mindestens 10 % der einreisenden Geflüchteten sind queer. Für viele von ihnen sind Diskriminierung und tätliche Angriffe leider immer noch alltägliche Realität – auch nach der Flucht, zum Beispiel in Deutschland.

Warum viele queere Menschen ihren Asylgrund nicht angeben

Bei Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität (SOGI) als Schutzgrund, gibt es spezifische Bedarfe und Herausforderungen. Queere Geflüchtete sind in Deutschland während ihres Asylverfahren allerdings mit diversen Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen konfrontiert – bei Asylanhörungen, Behörden und Ämtern, durch Übersetzer*innen, Sozialarbeiter*innen oder in Unterkünften. Es mangelt in der Regel an einem grundlegenden Verständnis für die Probleme und Herausforderungen einer queeren Lebensweise im gesellschaftlichen und juristischen Kontext.

Übersicht für queere Terminologie im SOGI Asylverfahren, russisch

Lilith Raza arbeitet beim LSVD⁺ - Verband Queere Vielfalt im Projekt “Fluchtgrund queer: Queer Refugees Deutschland”. Lilith erzählt, dass viele Asylsuchende gar nicht wissen, dass SOGI ein Asylgrund ist – oder sich schämen und deswegen nicht ihre queere Identität preisgeben. Stattdessen würden sie als Fluchtgründe hauptsächlich die politische Situation im Herkunftsland angeben. Dies geschiehe aus mangelndem Vertrauen, Unkenntnis der eigenen Rechte und Angst vor Repressionen. Queere Menschen könnten sich weder in Unterkünften und Behörden noch in der Rechtsprechung oder im direkten Kontakt mit Beraterinnen und Unterstützerinnen sicher sein, dass ihre Belange ernst genommen und anerkannt werden. Deshalb seien viele betroffene Personen sehr zurückhaltend.

Dies erschwert beim Erstkontakt und bei der Ankunft in den Unterkünften das Thema explizit anzusprechen. Dies gelte besonders, wenn eine nicht-heterosexuelle Lebensweise im Herkunftsland die körperliche und psychische Unversehrtheit bedroht hat – und die sich auch in den Unterkünften in Deutschland fortführt. Denn in Gemeinschaftsunterbringungen von Geflüchteten kommt es immer wieder zu Angriffen auf queere Personen. „Wir haben Messerangriffe auf queere Menschen in Asylunterkünften, wir haben Schlägereien, wir haben Täter-Opfer-Umkehr. Und es gibt keine zentrale Beschwerdestelle“, sagt Lilith Raza.

Hier wird deutlich, wie wichtig eine Auseinandersetzung mit queeren Themen im Bereich Asyl und Migration ist. Der Schutz queerer Geflüchtete muss in Deutschland sichergestellt werden. Dafür müsste es eine behördenunabhängige Asylverfahrensberatung vor der Anhörung geben. Denn „wenn man SOGI als Grund nicht benennt, dann wird dieser Grund auch nicht behandelt werden“, so Lilith Raza.

Beratung ist entscheidend für Asylantrag

Aus einem Projektbericht zum Asylverfahren queerer Geflüchteter geht hervor, dass queere Personen, die bereits vor ihrer Anhörung Unterstützung und Beratung bekommen haben, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit SOGI als Fluchtgrund angeben. Personen, die vorher eine Beratung in Anspruch nehmen konnten, haben außerdem eine höhere Anerkennungsquote. Sie wissen mehr über ihre Rechte. Dies wirkt sich direkt darauf aus, ob die Person sich im Stande fühlt und die nötigen Informationen hat, um einen Antrag aufgrund von SOGI zu stellen.

Übersicht für queere Terminologie im SOGI Asylverfahren, türkisch

Erfahrungsberichte und Studien zeigen, dass vor allem die Anhörung eine besondere Herausforderung darstellt: Die Gesprächsführung im Rahmen von SOGI Asylverfahren ist von klischeehaften Stereotypen geprägt, zum Beispiel darüber wie queere Menschen auszusehen oder sich zu verhalten hätten. Die Anhörer*innen würden in der Befragung einen starken Fokus auf die sexuelle Praxis und nicht auf eine queere Zugehörigkeit als selbstbestimmte Identität legen.

Die Fragen sind zum Teil sehr intim und arbeiten mit Stereotypen. Dazu kommen Fälle von Diskrimierung durch Übersetzer*innen. Obwohl sie laut Arbeitsauftrag jede Äußerung der Asylverfahrensbeteiligten vollständig und genau übertragen müssen und grundsätzlich eine integre und allparteiliche Haltung und ein ebensolches Verhalten vorlegen müssen, ist dies häufig nicht der Fall. Zum Beispiel wird von ihnen diskriminierende Sprache verwendet.

Lilith Raza berichtet, dass viele Übersetzerinnen nicht zu queeren Themen geschult sind. Es gibt mittlerweile eine Übersicht für queere Terminologie in zehn verschiedenen Sprachen (Arabisch, Dari, Englisch, Französisch, Paschtu, Persisch, Russisch, Tigrinya, Türkisch und Urdu), die vom LSDV mit dem BAMF gemeinsam veröffentlicht wurde. Es wäre notwendig, dass Übersetzerinnen in SOGI Asylverfahren die Übersicht kennen und nutzen, sagt Lilith Raza.

Übersicht für queere Terminologie im SOGI Asylverfahren, arabisch

Ablehnungen trotz gültiger Rechtslage

Aufgrund der fehlenden Sensibilisierung und stereotypischer Auseinandersetzung mit dem Thema Queerness im Asylprozess, komme es zu häufig dazu, dass die Glaubwürdigkeit eines Vortrags von betroffenen Personen angezweifelt wird, und es dadurch zur Ablehnung des SOGI-Fluchtgrunds kommt. “Aus der Beratungspraxis und verschiedenen Studien wissen wir, dass genau dieser Punkt regelmäßig ein Ablehnungsgrund ist – gerade im Erstverfahren”, sagt dazu Lilith Raza. Dies kann an stereotypischen Annahmen der Entscheider*innen und Richter*innen liegen und an der Vorstellung, dass Betroffene ihre sexuelle oder geschlechtliche Identität in ihren Herkunftsländern verbergen können und nicht offen zeigen müssen, um sich vor Verfolgung zu schützen.

Die eigene Identität zu leugnen oder zu verstecken, kann aber keine Möglichkeit zum Schutz gegen Verfolgung sein – zumindest sofern man sich an den Menschenrechtskonventionen orientiert und sexuelle und geschlechtliche Identität als ein universelles Menschenrecht versteht. Das sogenannte Diskretionsgebot, welches diskretes Leben im Herkunftsland erwartet, steht entgegen der geltenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes.

Abschiebung in die Unsicherheit – wenn Schutz versagt

Lilith berichtet, dass sie momentan Meldungen von mindestens zwei Abschiebungen von queeren Menschen pro Woche erhalten, sie hätten auch schon eine Woche gehabt, in der es jeden Tag eine Abschiebung gab. „Wir haben seit Dezember bis jetzt fast über 60 Fälle in Abschiebehaft, in vielen Fällen wird die SOGI Identität angezweifelt“, berichtet Lilith in Bezug auf ihre Erfahrung in der Praxis. Offizielle Statistiken zu den Abschiebungen queerer Menschen gibt es nicht. Queeren Menschen wird in Deutschland somit Schutz verwehrt und sie werden in Länder abgeschoben, in denen ihnen Verfolgung droht.

Momentan wird die Unterstützung geflüchteter queerer Personen bundesweit durch eine Reihe von Initiativen aus der queeren Szene, aber auch von anderen gesellschaftlichen Akteur*innen geleistet. Diese bieten psychosoziale Beratung, Raum für Begegnung und Begleitung während des Asylverfahrens und darüber hinaus an. In diesem Zusammenhang schließen sich auch immer mehr geflüchtete queere Personen diesen Initiativen an oder bilden erste eigene Strukturen der Selbsthilfe. Das LSVD-Projekt „Fluchtgrund queer: Queer Refugees Deutschland“, von dem Lilith ein Teil ist, arbeitet daran, die deutschlandweit bestehenden Vernetzungsstrukturen weiter auszubauen und Menschen, die mit Geflüchteten arbeiten für die besonderen Bedarfe von queeren Geflüchteten zu sensibilisieren. Durch die erlangten Fachkenntnisse können Mitarbeitende und Ehrenamtliche mit mehr Handlungssicherheit und Zielgenauigkeit auf die Bedürfnisse dieser besonders vulnerablen Geflüchteten eingehen.

Was sich ändern muss – für echte Sicherheit und Teilhabe

Liliths Ziel ist es, dass queere Geflüchtete hier in Deutschland ohne Diskriminierung ihre Identität ausleben können. Das könne aber nur erreicht werden, wenn auch von staatlicher Seite in die Sichtbarmachung und Bildung zum Thema Queerness in Behörden, Gerichte oder Unterkünften investiert wird. „Queerness ist kein Sonderthema, sondern ein Alltagsthema", so Lilith. Geflüchtete Personen müssen bei Ankunft und Antragstellung über SOGI als möglicher Asylgrund, ihre Rechte als queere Person und über Angebote für (geflüchtete) queere Personen informiert werden. Das umfangreiche Informationsmaterial muss dabei von staatlichen Strukturen an allen Stationen des Asylverfahrens zur Verfügung gestellt werden. Denn zivilgesellschaftliche Strukturen können das nicht allein stemmen.


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