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Antimuslimischer Rassismus in der queeren Szene

Antimuslimischer Rassismus findet sich in vielen Facetten der Gesellschaft. Die queere Szene bildet da keine Ausnahme. Aşkın-Hayat Doğan berichtet hier von seinen Erfahrungen.

Antimuslimischer Rassismus in der queeren Szene

„Was hältst du denn vom 11. September?“

Erfährt ein nicht-muslimischer Gesprächspartner, dass ich Moslem bin, ist das häufig eine der ersten Fragen, die ich gestellt bekomme. Mittlerweile gibt es unterschiedliche Variationen wie „Charlie Hebdo“, „7. Oktober“ oder das „CSD-Verbot in der Türkei“. Es ist eine Frage, die direkt darauf abzielt, meinen islamischen Radikalisierungsgrad festzustellen.

Statt zu antworten, stelle ich im Gegenzug Fragen: Was hältst du von Hanau? Von Solingen? Von Mölln, Rostock-Lichtenhagen, Christchurch, den NSU-Morden? Bis mein Gegenüber mich mit einem genervt irritierten Blick fragt, was denn die ganze Fragerei soll. „Ich betreibe nur Smalltalk!“, erwidere ich gelassen. Früher hätte ich es bei der anschließenden peinlichen Stille belassen und das Thema gewechselt, mittlerweile suche ich einfach das Weite. Meine Zeit und Nerven sind kostbar.

"Queere muslimische Männer erleben eine paradoxe Behandlung"

Neben dem üblichen antimuslimischen Rassismus, den alle Muslim*innen in Deutschland erfahren, erleben queere muslimische Männer eine paradoxe Behandlung, die zweigleisig abläuft. Auf der einen Seite werden sie als begehrenswerte Sexualobjekte fetischisiert, die als hyperpotente, stark behaarte und sexuell rabiate Wüstensöhne imaginiert werden, die am besten noch eine Jalabiya tragen und ein Kamel an der Leine führen. Auf der anderen Seite gelten sie als sexistische, sexuell rabiate – diesmal als Contra aufgeführt – unsensible und unzivilisierte Demokratiefeinde, die wegen ihrer Queerness sich selbst hassende Gewalttäter sind.

Eine Zeit lang habe ich bei Online-Datingplattformen meine Religion nicht mehr angegeben, weil ich jeden zweiten Tag von Männern mit Nachrichten überhäuft wurde, in denen sie mich aufklären, beleidigen oder einfach nur über meine „rückständige“ Religion lästern wollten. Ob ich denn wirklich ein Moslem sei, wenn ich doch Sex mit Männern habe? Ob ich denn nicht wüsste, was im Koran steht?  In anderen Ländern würde ich dafür von Hochhäusern gestoßen oder gesteinigt. Ob ich das befürworte?

Dann soll ich doch wieder dahin zurück, wo ich herkomme …

Und hier stoßen wir auf den Kern von antimuslimischem Rassismus: Eine Religionszugehörigkeit wird auf eine ethnische Herkunft reduziert, rassistische Stereotype werden reproduziert. Dass eine weiße Person namens Konrad, Markus oder Andreas genauso muslimisch sein kann, wie ein Aşkın oder ein Mohammed, erscheint unvorstellbar. Die Zugehörigkeit zum Islam wird direkt mit einer Migrationsgeschichte aus Westafrika oder dem Nahen Osten verknüpft und mit der dazugehörigen ethnischen Herkunft vermengt. Damit entsteht die Vorstellung von einem ganz bestimmten Typus Mann. So wie Muslim*innen weltweit keine homogene Masse, sondern so vielfältig und individuell wie andere Glaubensgemeinschaften sind, trifft dies auch auf queere muslimische Männer zu.

"Als ich mich an die schwule Szene Berlins heranwagte, wurde ich von weißen Männern gemieden"

Doch immer wieder tauchen bestimmte Bilder auf. Befeuert wird eine solche negative Stereotypisierungen in Datingapps auch mit Gruppen wie „White Slaves serving Arabs“ oder „Devote Sklaven für Muslim Tops“. Als ich mich mit 19 Jahren an die schwule Szene Berlins heranwagte, wurde ich von weißen Männern gemieden. Fast alle dachten, ich sei ein Prostituierter. Ich musste auf der Suche nach Geld sein und meinen Körper dafür anbieten, anders war meine Präsenz in einschlägigen Bars, Cafés oder Clubs nicht zu erklären.

Das Bild eines selbstbewussten, schwulen, muslimischen Mannes mit einer türkischen Migrationsgeschichte, der einfach ausgeht und sich amüsieren will, passte wohl nicht in ihr Bild des „rückständigen“ Islams.

Finden dann doch Dates und Bekanntschaften statt, bekommen queere Moslems einen Sonderstatus verpasst. Man sei gaaaanz anders, als all die anderen Muslim*innen, die man kennt. Denn mit mir kann man nicht nur seine „exotischen“ sexuellen Begierden erfüllen, sondern sich auch unterhalten! Ich gelte als Ausnahme – und bin deshalb auch akzeptabel. Anschließend wird von mir erwartet, dass ich als muslimischer Insider den antimuslimischen Rassismus meines Gegenübers bestätige.

Aussagen wie „Du weißt ja, wie muslimische Männer so sind, dir muss ich es ja nicht erklären“ oder „Der Koran ist doch blöd, nicht?!“ gehören genauso dazu wie „Du erwartest aber von mir nicht, dass ich mich verschleiere, oder? Schwarz steht mir überhaupt nicht! Hahaha!“. Die eigene religiöse Zugehörigkeit muss, wenn nicht verteufelt, doch zumindest kritisch betrachtet und stark infrage gestellt werden, damit man dazugehört.

"Ihre Probleme werden immer auf ihre Kultur und Religion reduziert"

Das macht es insbesondere queeren Moslems, die auf der Suche nach sich selbst sind und erste Orientierungshilfen suchen, sehr schwer, sich in der Community zu etablieren und sie als einen Safe(r) Space wahrzunehmen. Wenn zum Beispiel muslimische Männer wegen Problemen bezüglich Partnerschaft, Alter, Gesundheit, Sexualität, Coming-out oder Einsamkeit zu Beratungsstellen der Dominanzgesellschaft gehen, werden all ihre Probleme immer auf ihre Kultur und ihre Religion reduziert.

Während weiße, christliche oder atheistische Männer als Individuen gesehen werden, wird ein Hamoudi oder ein Mirhayat stets als der BIPoC-Moslem behandelt. Sie werden gedrängt, sich vor ihren Familien zu outen, sich endlich aus dem „Joch“ ihrer islamischen Kultur zu befreien, da sie es ja der queeren Comunity und den zivilisierten westlichen Werten schuldig seien. Dieselben Betreuer sagen einem Christian oder einem Manfred mit den gleichen Problemen, dass sie sich alle Zeit der Welt nehmen sollen und sie niemandem Rechenschaft schuldig sind, außer sich selbst.

Wenn muslimische Queers mich um Rat bitten, verweise ich sie auf keinen Fall auf herkömmliche Anlaufstellen, in denen nur weiße Menschen arbeiten, die weder rassismussensibel sind, noch eine Ahnung von muslimischen Lebensrealitäten haben. „Diversität“ ist zwar bei den alteingesessenen Vereinen ein konstant beschriebenes Thema, aber ihr Wissen über religiöse und ethnische Vielfalt, antirassistisches Verhalten und kritisches Weißsein ist quasi nicht existent. Die einzigen Broschüren auf Türkisch und Arabisch, die ich letzten Monat in einem Beratungszentrum für queere Männer in Niedersachsen gesehen habe, waren welche über sexuell übertragbare Krankheiten für männliche Prostituierte.

Alle anderen Infomaterialien zu Freizeitveranstaltungen, vom schwulen Gesangsverein bis zur queeren Bowlinggruppe, Heften zu Prep, Sexualität, Altersvorsorge, geschlechtliche Vielfalt etc. gab es wiederum mehrfach auf Deutsch, Englisch, Spanisch, Russisch und Französisch. Kurz fühlte ich mich wieder wie 19. Doch zum Glück bin ich nun älter und es gibt mittlerweile genug migrantische und muslimische Organisationen, die auch Angebote für queere Menschen machen.

Aşkın-Hayat Doğan (er/ihm) beschäftigt sich bei seiner Arbeit als Diversity- & Empowerment-Trainer, Sensitivity Reader und Autor mit Islamfeindlichkeit, Queerness und Rassismus und setzt sich mit seinen Workshops für ein diskriminierungsreduzierteres Miteinander ein. Er ist Initiator und Mitherausgeber der Anthologiereihe »Urban Fantasy: Going …«, leitet zusammen mit Klaudia Seibel die »Phantastik-Bestenliste« und ist Host des monatlichen Twitchtalks »Diverser Lesen mit Ask«. Kennenlernen könnt ihr ihn auf Instagram oder unter https://ask-dogan.de/.

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