Ana Álvarez Monge ist aus Costa Rica nach Deutschland migriert und lebt seit 2015 in Berlin. Schnell geht sie auf Jobsuche, doch bleibt trotz guter Karriere in ihrem Heimatland zunächst erfolglos. Potenzielle Arbeitgebenden begegnen ihr mit Misstrauen. Als sie sich mit anderen Migrant*innen austauscht, in einer gemeinnützigen Organisation arbeitet und stärker mit Inklusion auseinandersetzt, entsteht die Idee eines Netzwerkes für Menschen mit und ohne Migrations- und Fluchterfahrung, die sich unterstützen.
Heute werde sie häufig gefragt, warum sie einen Unterschied bei lokalen und migrantischen Gründerinnen mache. Darauf hat Ana eine klare Antwort: „Der Unterschied besteht darin, dass man, wenn man neu in einem Land ankommt, nicht weiß, welche Regeln es gibt. Wenn man allerdings schon seit vielen Jahren hier arbeitet, dann weiß man, wo man nach Finanzierungsmöglichkeiten oder anderen Dingen suchen muss. Die Tatsache, dass man schon so viele Jahre in einem Land lebt, die Tatsache, dass man das Ökosystem und seine Umgebung bereits kennt, verschafft einem einen Vorteil im Vergleich zu denjenigen, die erst in den letzten fünf bis zehn Jahren angekommen sind. Das war mein Grundgedanke, als ich Migrapreneur gegründet habe: Wie oft haben Menschen wie ich, als wir unser erstes Unternehmen gründeten, Dinge nicht erreicht, weil sie manches schlichtweg nicht wussten.“ Sie sagt, genau das sei die Kluft, sie sie für migrantische Entrepreneurinnen schließen wolle.
„Ich habe nicht verstanden, wie die Bürokratie funktioniert“
Wenn Ana von der Community und anderen migrantischen Gründer*innen spricht, tut sie das in der „Wir“-Form. Mit all diesen Herausforderungen hatte Ana anfangs in Deutschland selbst zu kämpfen: „Als ich im September 2015 in Deutschland ankam, begann ich mit einem Projekt namens Migration Hub, das ich schließlich als meine erste gemeinnützige Organisation gründete.“ Sie sagt, dass das eigentlich erstaunlich sein müsse, doch so fühlte es sich nicht an. „Ich habe nicht verstanden, wie die Bürokratie funktioniert. Aber trotzdem wuchs Migration Hub sehr schnell. Alles, was ich danach tat, baute ich auf den Erfahrungen auf, die ich als Migrantin in Deutschland gemacht hatte“, erzählt sie.
Mit der Zeit hat sie verstanden, dass sie mit diesen Erfahrungen nicht allein ist. „Eine lange Zeit habe ich nicht darüber gesprochen, wie schwer es ist, Unternehmerin zu sein. Denn jedes Mal, wenn ich mit Leuten sprach, sagten alle: Ana, herzlichen Glückwunsch, du bist in die deutsche Gesellschaft integriert. Das ist es, was jeder durchmacht. Und dann dachte ich immer, dass das nicht normal sein kann. Es gibt eine Menge Diskriminierung in diesem Prozess.“ Ein eigenes Unternehmen führen, Menschen einstellen, Papierkram, zu teure Rechtsberatung, Finanzierung – es folgte ein Burnout. Sie wollte alles aufgeben. Es waren ihre habibis und ihr soziales Umfeld, dass sie an ihre Vision erinnerte, erzählt Ana.
Heute muss sie sich nicht mehr allein durchkämpfen. In Munzer Khatab, ihrem späteren Mitgründer von Migrapreneur, findet sie damals wahrhaften support: „Er ist zufällig auch mein Nachbar und das ist meine Familie, weißt du, das sind meine Leute.“ Sie gab Migration Hub auf und fokussierte sich mit ihm auf die Gründung von Migrapreneur. Dabei treibt Ana die Ungerechtigkeit an, die Migrant*innen auf dem deutschen Markt erfahren: „Ich gebe mich nicht mit dem Status Quo ab, der den Zustand einfach akzeptiert. Wir müssen etwas verändern. Um das Problem an der Wurzel zu packen, müssen wir die Arbeitsweise der Bürokratie ändern und sie inklusiver gestalten“, sagt sie nachdrücklich.
Migrapreneur startete im Dezember 2020 mit der Kampagne „Call 911. You were crazy.“ Damit erreichte das Team Menschen, die bereits ein Unternehmen gegründet, aber Probleme hatten. Anas Idee zu Migrapreneur war dabei von vielen Anrufen und Kontakten inspiriert, die sie in diesem Jahr von migrantischen Menschen erhielt: „Angefangen hat das Ganze damit, dass sich die Menschen in der deutschen Bürokratie verloren fühlten, wenn es um Unternehmensgründungen und auch freie Arbeit ging“, erklärt sie.
„I know my habibis“
Im Jahr 2021 begannen Ana mit ihrem Team, die Entrepreneur*innen zu unterstützen, sie durch die Bürokratie zu navigieren und ihnen zu zeigen, wie sie einen möglichen Bankrott überstehen können, da durch die Coronapandemie viele Geschäfte geschlossen wurden. „Die ursprüngliche Absicht war, den Migrant*innen zu helfen, die Schließung ihrer Unternehmen zu verhindern“, sagt Ana. Aber tatsächlich wurde eine neue Gemeinschaft geboren, denn jede*r hatte zu dieser Zeit Probleme: von Unternehmensgründer*innen bis zur Freiberuflichkeit. Diese aufstrebenden Entrepreneur*innen hätten nun die Möglichkeit, Teil der pro-Bono-Community von Migrapreneur zu werden und Peer-to-Peer-Unterstützung zu bekommen, führt sie weiter aus.
Immer wieder betont sie die Relevanz von Netzwerken, glaubt an den festen Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung in Communities. „In Costa Rica habe ich bereits mit Menschen aus der ganzen Welt zusammengearbeitet und kannte Menschen aus Syrien, Palästina, Irak und noch 130 Ländern mehr. Als ich also sah, dass Deutschland z.B. Syrer*innen aufnimmt, wollte ich sie hier in die Community. I know my habibis. Als Migrantin bin ich bereits auf viele Probleme gestoßen, die sie noch bekommen könnten“, sagt Ana.
Dabei braucht Deutschland Migrantinnen, betont sie. Ihre Forderung an die Politik: „Arbeitet mit uns zusammen, denn die Zukunft Deutschlands, ob es euch gefällt oder nicht, sind Migrantinnen. Schon seit vielen Jahren verdienen Migrant*innen in Deutschland Anerkennung für das, was wir für Deutschland leisten. Wir sorgen für Arbeit, wir sorgen für Wohlstand, wir sorgen für Arbeitsplätze.“ Sie ergänzt zum Schluss: „Wir sind nach Deutschland gekommen, um zu arbeiten, weil wir Geld nach Hause schicken wollen, weil wir unsere Familien unterstützen und ein Leben gestalten wollen. Wir wollen arbeiten. Also lasst uns arbeiten und lasst uns zusammenarbeiten.“