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Alois Brunner: Vom NS-Kriegsverbrecher zum Berater des syrischen Regimes

Nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland und dem Suizid Adolf Hitlers suchten zahlreiche NS-Kriegsverbrecher Zuflucht in anderen Ländern. Viele von ihnen, die wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt waren, wechselten ihre Identität und flohen mit gefälsch

Alois Brunner: Vom NS-Kriegsverbrecher zum Berater des syrischen Regimes
Fotograf*in: charlesdeluvio auf unsplash

Alois Brunner verkörpert einen der dunkelsten Aspekte der Nachkriegszeit: Er war nicht nur ein maßgeblich an der Judenverfolgung beteiligter SS-Offizier, sondern auch einer der wenigen NS-Verbrecher, die jahrzehntelang einer strafrechtlichen Verfolgung entgingen. Obwohl Frankreich ihn in Abwesenheit zum Tode verurteilt hatte und andere westliche Staaten wiederholt seine Auslieferung forderten, blieb er bis zu seinem Lebensende in Damaskus. Dort stellte er dem syrischen Baath-Regime sein umfassendes Wissen über Verfolgung und Folter zur Verfügung und half, den gefürchteten syrischen Geheimdienstapparat maßgeblich aufzubauen.

Aufstieg in der SS

Alois Brunner wurde 1912 im Dorf Vas, damals Teil der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, geboren. Bereits mit 16 Jahren trat er der NSDAP bei. Im Jahr 1933 zog Brunner nach Deutschland und schloss sich dort den paramilitärischen Verbänden der Nationalsozialisten an, die in dieser Zeit gewaltsam gegen politische Gegner*innen vorgingen.

Als Adolf Hitler 1938 den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich vollzog, meldete sich Brunner freiwillig zur SS. Er wurde im „Zentralamt für jüdische Auswanderung“ in Wien eingesetzt und übernahm 1939 die Leitung dieser Behörde. Kurz darauf entsandte man ihn in die von den Nationalsozialisten besetzten tschechischen Gebiete Böhmen und Mähren, wo er an der Deportation der jüdischen Bevölkerung beteiligt war. Dabei avancierte Brunner zum engen Vertrauten von Adolf Eichmann, einem der Hauptorganisatoren der Judenverfolgung.
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war Alois Brunner für die Deportation von etwa 1.500 Jüd*innen aus Wien in ein Lager nach Polen verantwortlich.

Mit dem weiteren Vorrücken der deutschen Truppen in Europa organisierte er schließlich die Deportation von insgesamt rund 100.000 Jüdinnen aus Österreich, der Slowakei, Frankreich und Griechenland in Vernichtungslager in Osteuropa. Zahlreiche Berichte gehen davon aus, dass unter den Deportierten mindestens 45.000 österreichische Jüdinnen waren.
Zwischen Juni 1943 und August 1944 leitete Brunner das Internierungslager Drancy in der Nähe von Paris. Während dieser Zeit transportierte er mehr als 24.000 Menschen in die Gaskammern. In der Endphase des Krieges verstärkte er zudem die Deportationen aus der Slowakei, mit dem Ziel, die dort lebende jüdische Gemeinde vollständig auszulöschen.

Flucht aus Europa

Nach der deutschen Kapitulation 1945 entging Alois Brunner einer Festnahme in den westlichen Besatzungszonen. 1954 gelang ihm mithilfe gefälschter Papiere des Roten Kreuzes die Flucht nach Ägypten, von wo aus er später weiter nach Syrien reiste. In Syrien nahm er den Decknamen „Georg Fischer“ an und erhielt vom Baath-Regime Asyl. Als Gegenleistung für den monatlichen Sold und ein eigenes Haus bot er den syrischen Sicherheitsbehörden sein Spezialwissen in Sachen Verhör- und Foltermethoden an.

In Frankreich wurde Brunner in Abwesenheit zum Tode verurteilt, und auch zahlreiche westliche Staaten forderten wiederholt seine Auslieferung. Doch Syrien, unter Hafiz al-Assad, verweigerte dies. Medienberichten zufolge war man Ende der 1980er-Jahre zwar kurz davor, Brunner an die DDR zu überstellen, doch der Fall der Berliner Mauer ließ das Vorhaben scheitern.

Laut Recherchen des französischen Journalisten Claude Palazzoli (Autor des Buches „Syrie: Le rêve et la rupture“) hatte Brunner enge Verbindungen zu Abd al-Hamid as-Sarraǧ, dem gefürchteten Geheimdienstchef unter Präsident Gamal Abdel Nasser. Er bildete zudem in Syrien zahlreiche Offiziere in Anti-Spionage-Techniken und Verhörmethoden aus. Unter ihnen befanden sich später prominente Sicherheitsverantwortliche wie General Ali Haidar, Geheimdienstchef Ali Duba und Verteidigungsminister Mustafa Tlass.

Kooperation mit Hafiz al-Assad

1966 ereignete sich ein Wendepunkt in Brunners Verhältnis zum syrischen Staat: In diesem Jahr versuchte vermutlich ein US-amerikanischer Geheimdienst, Brunner mittels einer Briefbombe in Damaskus zu töten, wobei er ein Auge verlor. Hafiz al-Assad, zu dieser Zeit noch Verteidigungsminister, setzte Brunner daraufhin als heimlichen Berater ein, damit dieser seine Erfahrungen aus der NS-Zeit in den Dienst des aufstrebenden Machtapparats stellte.

Als Adolf Eichmann ihn einst als „einen meiner besten Männer“ bezeichnete, spiegelte dies die Bedeutung wider, die Brunner als Spezialist für Verfolgung und Unterdrückung innehatte. Unter Assads Herrschaft half er, ein weitverzweigtes und gefürchtetes Geheimdienstnetz aufzubauen, das durch brutale Repression und flächendeckende Überwachung gekennzeichnet war.
Ein französischer Geheimdienstoffizier, der in den 1980er-Jahren Kontakte in Damaskus pflegte, berichtet von Brunner als einem engen Berater Assads. Didier Epelbaum geht in seiner Biografie „Alois Brunner – Un odio irreductible“ sogar so weit zu sagen, Brunner habe „unsagbar wertvolle Dienste“ für das Regime erbracht, da er genau gewusst habe, wie man Menschen manipuliert, Informationen beschafft und Geheimdienste effektiv führt.

Der Journalist und Schriftsteller Ibrahim al-Dschibin (Autor des Romans Ain al-Scharq – „Auge des Ostens“) beschreibt, wie Assad über den Luftwaffenoffizier Muhammad al-Khuli, der in der DDR bei der Stasi ausgebildet worden war, den Kontakt zu Brunner herstellte. Al-Khuli war beauftragt, den syrischen Luftwaffengeheimdienst aufzubauen, der schließlich als Modell für die restlichen Geheimdienste diente. Brunner blieb aufgrund seines Know-hows im Innersten des Regimes verankert.

Brunners Rolle im syrischen Geheimdienst

Der investigative Journalist El-Hadi Aouij schildert im französischen Radiosender France Inter (2017) und in einem Bericht in der Zeitschrift Revue XXI, dass Brunner letztlich eine Art „Gefangener“ des Regimes blieb, bis er vermutlich um 2002 in Damaskus starb. Er habe jedoch maßgeblich geholfen, ein äußerst effizientes Unterdrückungssystem zu etablieren, das mehrere einander kontrollierende Geheimdienstzweige umfasste und auf uneingeschränktem Terror gründete.

Berüchtigt ist dabei das von Brunner angeblich eingeführte Folterinstrument namens „deutscher Stuhl“. Dabei werden Hände und Füße eines Gefangenen unter einem metallenen, beweglichen Stuhl fixiert, der anschließend derart nach hinten gebogen wird, dass Wirbelsäule und Nacken massiv unter Druck geraten – häufig mit tödlichen oder lebenslang verkrüppelnden Folgen.

Bis heute sind die Umstände seines Todes nicht endgültig geklärt. Manche Quellen verweisen auf das Jahr 2001, andere nennen 2010 als mögliches Todesdatum. Fest steht, dass Alois Brunner seine letzten Lebensjahre in Syrien verbrachte und vermutlich in der Nähe von Damaskus bestattet wurde.

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