Schon seit den 80er Jahren ist Muhammad Ilyas Munir Imam. Damals lebte er allerdings noch in seinem Heimatland Pakistan und arbeitete in einer Moschee der Ahmadiyya in Sahiwal, einer Stadt in der Provinz Punjab. Die Ahmadiyya ist eine muslimische Gemeinde, die 1889 in Indien gegründet wurde und als Reformbewegung aus dem Islam entstanden ist. Ihr Gründer Mirza Ghulam Ahmad erhob damals den Anspruch, der Messias der Endzeit und ein Prophet zu sein. Ahmadi-Muslime haben es jedoch in Pakistan, wie auch in vielen anderen muslimischen Ländern, nicht leicht.
Aufgrund der Unterschiede in ihrem Glauben werden Anhänger der Gemeinde von vielen nicht als Muslime anerkannt. In Pakistan werden sie seit 1977, als der Diktator Mohammed Zia-Ul-Haq die Macht im Land übernahm, systematisch diskriminiert und verfolgt. Seit 1984 und mit Einführung der Blasphemie-Gesetze dürfen Ahmadi-Muslime ihren Glauben nicht frei ausleben oder verbreiten. Bei Verstoß drohen ihnen Gefängnis- oder sogar Todesstrafen. Es kommt auch häufig zu Gewalt und Hetze gegen Ahmadis. Besonders gravierend waren die Terroranschläge 2010 durch die pakistanischen Taliban auf zwei Moscheen in Lahore, bei denen 70 Menschen getötet wurden.
Muhammad Ilyas Munir erzählt, dass auch die Moschee in Sahiwal, in der er arbeitete, häufig von radikalen Muslimen bedroht wurde. Im Oktober 1984 sei es dann zu einem Überfall gekommen: „Am frühen Morgen, vor dem Morgengebet, kamen etwa 50 bis 60 Männer aus einer nahegelegenen islamischen Schule und Studenten einer Hochschule an unsere Moschee, machten Randale und strichen die Koranverse auf den Wänden weg.“
Zu der Zeit sei ein Arbeiter der Moschee namens Rana Naeem Uddin, der auch für die Sicherheit zuständig war, als Einziger vor Ort gewesen. Dieser hatte laut Muhammad Ilyas Munir eine Waffe bei sich. Er habe die Männer wiederholt und vergeblich dazu aufgefordert, die Moschee zu verlassen. Da auf dem Gelände der Moschee auch die Familie von Muhammad Ilyas Munir lebte, sei Rana Naeem Uddin gezwungen gewesen, aus Notwehr zu schießen. Dabei seien zwei der Männer tödlich verletzt worden.
Als schließlich die Polizei hinzukam, seien elf Ahmadi Muslime, die zur Zeit der Tat nicht in der Moschee waren, zum Verhör aufs Revier gebracht worden. Keiner der Männer, die die Moschee überfallen hatten, sei verhaftet worden. „Ich war zu dieser Zeit ebenfalls nicht in der Moschee“, erzählt Herr Ilyas Munir, „Die Polizei kam aber erneut zurück und nahm diesmal mich als Zeugen mit auf das Revier, da ich in der Nähe der Moschee wohnte und der zuständige Imam war.“
Doch beim Verhör sollen die Polizisten ihm ein anderes Delikt vorgeworfen haben. „Sie sagten, ich habe in der Moschee den Gebetsruf ausgerufen, was wegen der Blasphemie-Gesetze nicht erlaubt ist. Schon damals hatte ich das Gefühl, dass die Polizisten mich zu einem falschen Geständnis bringen wollten, um uns Ahmadis schuldig aussehen zu lassen. Aber ich bestand auf meine Unschuld.“ Dennoch mussten er und die elf Ahmadi-Muslime zur Untersuchungshaft bleiben, da ihnen der Mord an den zwei Männern des Überfalls vorgeworfen wurde.
Daraufhin seien drei lange Jahre in Haft vergangen. Erst dann habe das Militärgericht in Multan sein Urteil bekannt gegeben: Die übrigen Ahmadi-Muslime bekamen eine Gefängnisstrafe von 25 Jahren, und Muhammad Ilyas Munir und Rana Naeem Uddin wurden des Mordes schuldig gesprochen und zu Tode verurteilt. „Die Hinrichtung sollte schon innerhalb weniger Tage erfolgen“, sagt Herr Ilyas Munir, „doch sie wurde immer wieder verschoben – Den Grund weiß ich bis heute nicht. Ich glaube, dass es eine Segnung Gottes war.“
Die folgenden Jahre sind laut Muhammad Ilyas Munir sehr schwer gewesen. Jeder Tag hätte der Tag seiner Hinrichtung sein können, seine Frau und seine zwei Söhne hätten ihn selten besuchen dürfen, und die Zustände im Gefängnis seien sehr schlecht gewesen. „Dennoch habe ich die Zeit im Gefängnis mit Geduld ausgehalten. Mein Glaube hat mir viel Stärke dafür gegeben“, erzählt der Imam.
Die Ahmadiyya in Pakistan habe sich unterdessen verstärkt für den Freispruch von Muhammad Ilyas Munir und den übrigen unschuldigen Ahmadi-Muslimen eingesetzt und habe zunächst erreicht, dass seine Strafe vom Todesurteil zu lebenslanger Haft heruntergesetzt wurde. Nach weiteren jahrelangen Bemühungen im Gericht, berichtet Muhammad Ilyas Munir, wurden er und die Ahmadi-Muslime, die bis dahin überlebt hatten, im März 1994 freigesprochen und entlassen – zehn Jahre, nachdem sie zu Unrecht verhaftet wurden.
„Nach meiner Entlassung bestand für mich kein Zweifel darin, aus Pakistan auszuwandern“, sagt Herr Ilyas Munir. Als Imam sei er von der Ahmadiyya Gemeinde in Deutschland für ein Arbeitsvisum gesponsert worden. Daher sei er nur wenige Monate nach seiner Entlassung im Oktober 1994 mit seiner Familie nach Deutschland gereist. In Deutschland angekommen, konnte er seine Arbeit als Imam schnell fortsetzen, deswegen habe er zu Beginn nicht viel Kontakt zu Personen außerhalb seiner Gemeinde gehabt. Dennoch sei sein Eindruck von Deutschlands sehr positiv, die Menschen seien ihm freundlich begegnet.
Heute lebt Muhammad Ilyas Munir in Frankfurt und arbeitet noch immer als Imam der Ahmadiyya Gemeinde. Während seiner Zeit in Deutschland habe er glücklicherweise keine feindselige Erfahrung gemacht. Auf die Frage, was er sich für die Zukunft wünscht, sagt er: „Mir selbst fehlt es an nichts, aber mein Wunsch für die Zukunft ist, dass auch die Ahmadi-Muslime in Pakistan ihren Glauben in Ruhe ausleben dürfen.“